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Aus: Ausgabe vom 11.04.2025, Seite 6 / Ausland
Krieg in Syrien

Aleppo wächst zusammen

Syrien: Kurdische Milizen verlassen syrische Großstadt nach Eingliederungsabkommen mit Regierung
Von Nick Brauns
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Mission erfolgreich beendet: Kurden in Aleppo verabschieden am Mittwoch einen Konvoi von YPG-Kämpfern

Das Abkommen zwischen Syriens Präsident Ahmed Al-Scharaa und dem Oberkommandierenden der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) Mazlum Abdi zur Integration der nordostsyrischen Autonomieverwaltung in den syrischen Staat trägt erste Früchte. So verließen Mitte der Woche rund 500 Mitglieder der kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ, die den Kern der SDF bilden, die Großstadt Aleppo in Richtung des Territoriums der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) östlich des Euphrat. Diese Milizen hatten die seit 2014 selbstverwalteten, mehrheitlich von Kurden bewohnten Stadtviertel Şêxmeqsûd und Eşrefiyê im Norden von Aleppo während des Bürgerkrieges gegen die islamistische Opposition verteidigt. Die damalige Assad-Regierung hatte vergeblich versucht, die Viertel durch eine Wirtschaftsblockade gefügig zu machen.

Eine Vereinbarung von Anfang April sieht nun die Eingliederung beider Stadtteile in die von der islamistischen HTS dominierte Stadtverwaltung vor – unter Beibehaltung ihrer Selbstverwaltungsstrukturen und Anerkennung ihrer kulturellen, sozialen und politischen Identität. Für den Schutz der Stadtteile sind ab jetzt die aus der Bevölkerung gebildeten Asayis der Behörde für innere Sicherheit der AANES verantwortlich. Islamistische Milizen dürfen nicht dort stationiert werden. Im Rahmen eines Gefangenenaustausches kamen vergangene Woche bereits 146 YPG- sowie 97 islamistische Kämpfer frei.

Parallel zum Rückzug der kurdischen Truppen aus Aleppo erfolgt nach Angaben der nordsyrischen Nachrichtenagentur North Press ein zumindest teilweiser Rückzug der mit Damaskus verbündeten, aber unter türkischem Kommando stehenden Syrischen Nationalarmee (SNA) aus Afrin. Die Stadt und das umliegende Gebiet im Gouvernement Aleppo waren 2018 von der türkischen Armee erobert worden. Seitdem wurden mehr als 300.000 vor allem kurdische Bewohner aus Afrin vertrieben, deren Rückkehr gemäß dem Abkommen mit Damaskus ermöglicht werden soll. Die AANES fordert allerdings, dass die für eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen SNA-Söldner nicht einfach durch zwar diszipliniertere, aber gleichfalls ortsfremde islamistische Soldaten des syrischen Verteidigungsministeriums ersetzt werden. Vielmehr sollen die ursprünglichen Einwohner von Afrin selbst den Schutz der Region übernehmen.

»Wir fordern internationale Garantien und erwarten von der syrischen Regierung, dass sie Schutz und Eigentumsrechte der Rückkehrenden gewährleistet«, betonte die Außenbeauftragte der AANES, Îlham Ahmed, am Mittwoch bei einem Dialogforum in Hasaka. Die Autonomieverwaltung stehe dafür mit internationalen Akteuren im Kontakt. Scharfe Kritik übte Ahmed am Verfassungsentwurf aus Damaskus, der nicht die Vielfalt des Landes spiegele. Für die AANES seien kulturelle und sprachliche Rechte aller Bevölkerungsgruppen, Religionsfreiheit, politische Partizipation und ein dezentralisiertes Regierungssystem unverhandelbare Prinzipien.

In Moskau begrüßte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, am Mittwoch das Abkommen zwischen den SDF und Damaskus als einen positiven Schritt zur Wiederherstellung der Einheit Syriens und zur Stärkung seiner Sicherheit und Stabilität. Gleichwohl werde die Umsetzung noch auf erhebliche Hindernisse stoßen, die von beiden Parteien eine konstruktive Haltung und Kompromissbereitschaft erforderten, so Sacharowa. Die russische Regierung hatte sich jahrelang für ein solches Abkommen zwischen den Kurden und Damaskus stark gemacht, was an der Unbeweglichkeit ihres damaligen Verbündeten, Präsident Baschar Al-Assad, aber auch an der Kooperation der SDF mit der US-Armee gescheitert war. Derzeit verhandelt die russische Regierung mit Damaskus über eine Weiternutzung ihres Luftwaffenstützpunktes und ihrer Marinebasis in der syrischen Küstenprovinz Latakia und bemüht sich darum um ein gutes Verhältnis zu Interimspräsident Al-Scharaa.

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