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Aus: Ausgabe vom 15.04.2025, Seite 4 / Inland
»Taurus«-Lieferung an Kiew

Signal der Eskalation

CDU-Chef Merz: Kiew mit »Taurus« aus der Defensive holen. Beifall aus der EU. Scharfe Kritik aus Moskau
Von Philip Tassev
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Verbindung mit Symbolcharakter: Die Krimbrücke überspannt die Meerenge von Kertsch (17.7.2023)

Der voraussichtlich künftige Kanzler der BRD, Friedrich Merz (CDU), hat die Lieferung von Marschflugkörpern vom Typ »Taurus« an die ukrainische Armee ins Gespräch gebracht. In der ARD-Sendung »Caren Miosga« antwortete er am Sonntag abend auf die Frage, ob er das weitreichende Waffensystem an Kiew liefern würde: »Ich habe immer gesagt, dass ich das auch nur in Abstimmung mit den europäischen Partnern tun würde.« Die »Partner« liefern aber bereits seit längerem vergleichbare Waffen in die Ukraine, wie auch der CDU-Chef feststellte: »Die Briten tun das, die Franzosen tun das, die Amerikaner tun es ohnehin.« Die Lieferung müsse abgestimmt werden, »und wenn es abgestimmt wird, dann sollte Deutschland sich daran beteiligen«.

Merz erklärte auch offen die Absicht hinter solchen Lieferungen: Die ukrainischen Streitkräfte müssten nach drei Jahren Krieg endlich aus der Defensive kommen, denn Kiew »reagiert ja immer nur«. Dabei müsse die Ukraine »selbst auch einen Teil dieses Geschehens bestimmen können. Militärs würden sagen: Sie müssen vor die Lage kommen.«

Als eine Möglichkeit, die ukrainische Armee »vor die Lage« zu bringen, nannte Merz die Zerstörung der Krim-Brücke, die die Meerenge von Kertsch überspannt und so die seit 2014 wieder russische Halbinsel mit dem Festland verbindet. Die knapp 20 Kilometer lange Auto- und Eisenbahnbrücke gilt als wichtiger Transportweg für die russischen Streitkräfte. Eine Zerstörung der 2019 vollständig in Dienst gestellten Brücke hätte vor allem eine gewaltige symbolische Wirkung, weshalb es in der Vergangenheit von ukrainischer Seite mehrere Angriffe auf das Bauwerk gab, unter anderem mit einem mit Sprengstoff beladenen Lkw und mit Drohnenbooten. Über die Ausmaße der Beschädigung und die aktuelle Nutzbarkeit der Brücke gibt es zwar widersprüchliche Aussagen der Kriegsparteien, aber eines ist unbestreitbar: Sie steht noch.

Die ukrainische Führung hatte die Bundesregierung unter Olaf Scholz (SPD) immer wieder aufgefordert, ihr »Taurus«-Marschflugkörper zu überlassen, unter anderem mit der Begründung, nur so könnten auch kleinere Ziele wie die Stützpfeiler der Krim-Brücke angegriffen werden. Die von Franzosen und Briten gelieferten Cruise-Missiles vom Typ »Scalp« bzw. »Storm Shadow« oder auch die US-amerikanischen Atacms sind dazu anscheinend nicht in der Lage. Scholz lehnte die Weitergabe von »Taurus« aber stets ab, da damit auch die Weiterleitung von Zieldaten aus der BRD an Kiew verbunden wäre.

Dementsprechend kritisierte der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow am Montag die Äußerungen von Merz scharf. Der CDU-Chef unterstütze »diverse Maßnahmen, die zu einer neuen Eskalation führen können und unweigerlich dazu führen werden«.

Der als möglicher neuer BRD-Außenminister gehandelte Johann Wadephul stellte sich hinter seinen Parteichef. Gegenüber Bild sagte der CDU-Politiker am Montag: »Alle Optionen sind auf dem Tisch.« Man werde sich eng mit den »europäischen Partnern« abstimmen und entschlossen handeln. Beifall bekam Merz auch von bekannten EU-Bellizisten. So begrüßte die EU-Außenbeauftragte und ehemalige Ministerpräsidentin Estlands, Kaja Kallas, die Aussage von Merz am Montag bei einem EU-Außenministertreffen in Luxemburg als »klare Botschaft«, Polens Außenminister Radosław Sikorski nannte sie »sehr gut«. Auch der niederländische Außenminister Caspar Veldkamp sah in Merz’ Ankündigung »ein ganz wichtiges Signal, wie Europa in dieser Situation steht«.

Aus dem brasilianischen Off meldete sich am Sonntag mit einem Interview in der Berliner Zeitung auch der einstige ukrainische Botschafter in der BRD, Andrij Melnyk, zu Wort. Es sei jetzt für »Europa« an der Zeit, »für die Ukraine militärisch all-in zu gehen«. Die künftige deutsche Regierung müsse »ganz Europa anführen und anspornen, sofort alle Waffensysteme freizugeben«.

Er appellierte an Merz: »Geben Sie am 6. Mai, dem Tag Ihrer Amtseinführung, grünes Licht, um all die verfügbaren Kampfjets – ›Eurofighter‹ und ›Tornados‹ – sowie 150 ›Taurus‹-Marschflugkörper zu liefern. Schicken Sie uns sofort 100 ›Leopard 2‹-Panzer, 200 ›Marder‹-Schützenpanzer, 100 ›Puma‹-Panzer, Dutzende ›Mars II‹-Raketensysteme aus den Beständen der Bundeswehr.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (15. April 2025 um 06:14 Uhr)
    »Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.« – Das ist der Amtseid des Bundeskanzlers. Merz wird ihn aussprechen und nach diesen Ankündigungen sofort brechen. Das Friedensgebot des Grundgesetzes ist eh schon ad absurdum geführt, dafür hat die bisherige Regierung gesorgt. Nun also »Taurus« an die Ukraine – vom Bundes- zum Kriegskanzler. Wie weit die Planungen fortgeschritten sind, machte die Süddeutsche am 4. April 2025 deutlich. Kapitän zu See Giss, Chef des Landeskommandos Baden-Württemberg, machte in einem Beitrag deutlich, was der »Operationsplan Deutschland« für uns alle bedeuten wird. Und diese Planung entstand 14 Monate vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, im Jahr 2020! Also alles nur eine Reaktion auf die »bösen Russen«? Nein, es sind ganz eindeutige Aktionen, keine Reaktionen geplant worden. Mit der Wahl von Merz und der Umsetzung seiner Pläne wird die letzte Stunde der Menschheit eingeläutet. Auch der Sekundenzeiger der Doomsday-Uhr wird dann auf »Zwölf« springen. Was können wir tun? Zeigen wir zu Ostern den Gebietern über den Tod, dass wir uns das nicht gefallen lassen. Macht die Ostermärsche zu dem Beginn einer großen Protestwelle – wir sind es unseren Nachfahren mehr als schuldig!

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