Vertreibung als humanitärer Akt
Von Yaro Allisat
Angeblich war es eine »freiwillige Ausreise« aus dem Gazastreifen, die Anfang des Monats 19 deutschen Staatsbürgern und 14 palästinensischen Angehörigen ermöglicht wurde. Die Formulierung »freiwillige Ausreise«, eine Umschreibung für »Ausreise ohne Rückkehrrecht«, nutzt Israel schon seit einiger Zeit, um sein Vorhaben der ethnischen Säuberung der besetzten palästinensischen Gebiete zu beschönigen. Entsprechende Pläne machten zuletzt durch den Vorschlag des US-Präsidenten Donald Trump von sich reden, alle oder einen Großteil der Palästinenser in arabische Drittstaaten umzusiedeln. Trump zufolge sollte Gaza unter US-amerikanischer Verwaltung als »Riviera des Nahen Ostens« neu aufgebaut werden. Nach internationaler Kritik wurde die Initiative offiziell zur »Empfehlung« zurückgestuft.
Israels Premier Benjamin Netanjahu sah in Trumps Äußerungen jedoch eine Steilvorlage: Ende März richtete seine ultrarechte Regierung eine Behörde für »freiwillige Ausreisen« aus Gaza ein. Das Amt solle »die freiwillige Ausreise von Bewohnern des Gazastreifens in Drittländer auf sicherem und kontrolliertem Wege vorbereiten« und »unter Einhaltung des israelischen und internationalen Rechts und in Übereinstimmung mit der Vision von US-Präsident Donald Trump« das Verlassen des Küstenstreifens ermöglichen, so das israelische Kriegskabinett. Eine Verhöhnung der Einwohner Gazas, denen seit Monaten nicht einmal Ausreisen in akuten medizinischen Fällen ermöglicht werden. Israels Nachbarland Jordanien bezeichnete die Pläne als »Vertreibung« und sprach von einem eklatanten Bruch des Völkerrechts.
Der Küstenstreifen ist nach wie vor hermetisch von Israel abgeriegelt. Jede Ausreise bedarf der Zustimmung der Besatzungsmacht. Nur über den Grenzübergang Rafah hatten einige wenige Evakuierungen medizinischer Natur oder ausländischer Staatsbürger stattgefunden. Seit Mai 2024 war der Grenzübergang geschlossen. Laut der Zeitung Jediot Acharonot sei aber die Zahl der Menschen, die den nahezu vollkommen zerstörten Küstenstreifen, in den seit Wochen kaum noch Hilfslieferungen gelangen, verlassen, nun deutlich gestiegen. Fast 2.000 Bewohner Gazas seien bereits über den Grenzübergang Kerem Schalom zum Flughafen Ramon oder nach Jordanien evakuiert worden.
Die Ausreise der 19 Deutschen mit ihren Angehörigen war nicht die erste Evakuierung ausländischer Staatsbürger aus Gaza, allerdings die erste, die direkt über Israel erfolgte. Auch zuvor schon konnten seit dem 7. Oktober 2023 und dem folgenden, laut UNO möglicherweise genozidalen Krieg Israels in Gaza vereinzelt deutsche Staatsbürger und ihre Angehörigen ausreisen, wenn auch mit langen Wartezeiten. Der Flug am Dienstag vor zwei Wochen landete am Flughafen Leipzig/Halle. Das Auswärtige Amt wies dabei gegenüber der jungen Welt zurück, sich an der Vertreibung zu beteiligen. Die Evakuierung stehe in keinerlei Zusammenhang mit der israelischen Politik der sogenannten freiwilligen Ausreise von Palästinensern aus Gaza, »sondern ist Fürsorge für unsere Staatsangehörigen. Die Bundesregierung und ihre europäischen und internationalen Partner lehnen eine Umsiedlung aus dem Gazastreifen ab«.
Eine mittlere zweistellige Zahl Deutscher, die gern ausreisen würden, befindet sich laut dem Auswärtigen Amt noch in Gaza. Man stehe im engen Kontakt mit israelischen Behörden und dem Bundesinnenministerium, um ihnen die Ausreise zu ermöglichen. Die Sicherheit der Deutschen habe dabei oberste Priorität. Sie hätten, keine neue Erkenntnis, »in Gaza unter katastrophalen Bedingungen ausharren müssen, zum Teil ohne funktionierende medizinische Versorgung«. Nicht nur grundlose Verzögerungen der Evakuierungen durch Israel, sondern auch Überprüfungen der Ausreisenden durch deutsche Sicherheitsbehörden führen zu den langen Wartezeiten. Ob sie ihre Heimat jemals wiedersehen, ist fraglich. Israel verweigert seit seiner Staatsgründung 1948 allen Palästinensern die Rückkehr. Israelische Regierungspolitiker propagieren immer wieder ganz offen eine Ausrottung aller Palästinenser in Gaza.
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