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Aus: Ausgabe vom 17.04.2025, Seite 10 / Feuilleton
Theater

Alles nur Theater

In Unterhosen: Luk Perceval inszeniert Becketts »Warten auf Godot« am Berliner Ensemble
Von Sabine Lueken
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Auferstehung: »Rühr mich nicht an! Nichts fragen! Nichts sagen!«

Viel und voller Trauer gelacht«, schrieb Samuel Beckett in einem Brief über eine Aufführung von Karl Valentin und Liesl Karlstadt, die er 1937 in München besucht hatte. Eine ähnliche Wirkung könnte auch »Warten auf Godot« entfalten, das zum Klassiker des absurden Theaters gewordene Stück des irischen Literaturnobelpreisträgers, in dem die beiden Landstreicher Estragon und Wladimir auf etwas warten, das nie eintritt.

Den belgischen Regisseur Luk Perceval interessierten in seiner Inszenierung am Berliner Ensemble (Premiere am 11. April) vor allem »die Komik sowie die Grausamkeit dieser universellen Menschheitskomödie«, wie es im Programmheft heißt. Während Philipp Haagen zu Beginn ein Klavier bearbeitet, bleibt Zeit, die Bühne (Katrin Brack) zu betrachten: ein abgewetzter, schwarzer Theaterraum, vollgestellt mit Scheinwerfern, durchzogen von Kabeln, die lose herumliegen oder von der Decke hängen.

Während das Licht im Saal noch nicht verloschen ist, schleppt sich Matthias Brandt hinkend von links als Estragon heran, in sehr kurzem Höschen, Glitzerpulli, Netzstrümpfen und Chelsea Boots. Dazu trägt er eine orangefarbene Sonnenbrille, die Frisur ist ziemlich derangiert. Ihm tun die Füße weh, er ist erschöpft und verstimmt.

Wladimir (Paul Herwig) ist ein hyperaktiver, hagerer Typ, der den ganzen Abend mit seiner schlabbrigen Hose beschäftigt ist. Mal zieht er sie hoch, mal zieht er sie aus, mal muss er sie trocknen, weil er sich einmacht, mal zieht er sie verkehrt herum an, mal sieht man seinen nackten Hintern. Sein gestreifter Pulli schlottert am Körper (Kostüme: Ilse Vandenbussche). Er muss immerzu in Bewegung sein: tanzen, hüpfen, pfeifen, schnalzen, nesteln oder Knallgeräusche machen. Das Nesteln nimmt auch bei Estragon im Laufe des Stücks zu, Zeichen seiner fortschreitenden Vergesslichkeit. Man muss an ein altes Ehepaar denken, besonders dann, wenn Estragon seinen einen Schuh immer wieder wie eine Damenhandtasche an sich drückt.

Die beiden warten vergeblich auf ihn, den Herrn … Der Name fällt bei Regisseur Luk Perceval nicht. Wer oder was Godot ist, wissen die beiden bekanntlich nicht. Sie kreisen um sich selbst. Sollen sie sich trennen oder zusammenbleiben, sollen sie sich umbringen, sollen sie gehen oder bleiben? Das Warten versuchen sie mit allem Möglichen zu verkürzen. Sie machen Wortspiele, quälen und beschimpfen sich – in dieser Inszenierung im Ton ziemlich aggressiv. Zweimal begegnen sie dem Herr-und-Knecht-Pärchen Pozzo (Oliver Kraushaar) und Lucky (Jannik Mühlenweg), und zweimal bringt ein Junge (Roderich Gramse) die Nachricht, dass der Herr heute nicht mehr komme, aber morgen ganz bestimmt.

Gleich zu Beginn tritt die Souffleuse (Antonia Schirmer) auf und liest aus dem Textbuch die Regieanweisungen laut ins Mikrophon. Im zweiten Akt steht sie sogar zwischen den Schauspielern. Was ist das? Frau Beckett? Gott? Der Regisseur? Die beiden Pro-tagonisten geben sich sichtbar verdutzt, versuchen später sogar, ihr das Textbuch zu entwenden. Alles nur Theater, seht ihr! Die beiden zeigen sich jedenfalls nicht sehr beeindruckt von dieser Intervention.

Die Rüben, die sie essen, entpuppen sich als kleine Wasserbehälter, mit denen sie sich bespritzen und später sogar bepinkeln. Ziemlich albern! Es folgt der Auftritt des zweiten Paares, Pozzo und Lucky. Pozzo verkörpert protzig-dümmliche Männlichkeit im billigen Anzug, während er Lucky bändigt, eine scheußlich augenverdrehend gefährliche Kreatur in Unterwäsche. Mit einem sehr dicken Tau zieht er ihn gefesselt auf die Bühne. Lucky führt seine Kunststücke vor, das Tanzen und das Denken. Bei letzterem flieht er unter fürchterlichem Schreien und tierhaften Tubaklängen (Philipp Haagen) durch das ganze Theater bis auf den zweiten Rang. Pozzo hinterher. Im zweiten Akt ist Pozzo bekanntlich blind und Lucky stumm. Das Herr-Knecht-Verhältnis hat sich umgekehrt. Pozzo fällt jetzt über den zunehmend kraftlosen Estragon her, zieht ihm eine Unterhose nach der anderen herunter, um ihn dann zu vergewaltigen, so scheint es.

Vor lauter grimmiger Körperlichkeit merkt man kaum, dass Becketts Dialoge schlicht und oft auch witzig sind. Die meiste Zeit über wird zu laut und überpointiert gesprochen, besonders am Schluss, wenn alles in Pathos versinkt. Estragon liegt in Wladimirs Armen. Ist er tot? Aber nein. Das Stück kann ja endlos wieder von vorne beginnen. Wie das Lied, das er gesungen hat: »Ein Hund kam in die Küche und stahl dem Koch ein Ei …«

Nächste Vorstellungen: 18.4., 19.4., 26.5., 27.5.

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  • Leserbrief von Walter Lambrecht aus Rostock (17. April 2025 um 12:17 Uhr)
    Stellt man die Nachkriegszeit, in der »Warten auf Godot« entstand, in Rechnung, die Millionen hingemordeten des deutschen Kolonialkrieges gegen Osteuropa und die SU (und die Japans gegen China), »all die Millionen«, wie Estragon herausschreit, dann kann man das Stück mit den beiden seelisch und körperlich verheerten Hauptfiguren auch als eine einzige Anklage gegen den Krieg lesen. Mich hat es beeindruckt.

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