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Aus: Ausgabe vom 17.04.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Berufverbote 2.0

GEW gegen neue Berufsverbote

»Radikalenerlass« erfährt nach über 50 Jahren Renaissance. Eine Gewerkschaft wehrt sich
Von Gudrun Giese
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Lisa Poettinger spricht auf einer Pressekonferenz der Linken (München, 31.5.2023)

Die Rolle rückwärts in überkommene Praktiken in Politik, Gesellschaft und Kultur ist allgegenwärtig. Seit einiger Zeit trifft es politisch aktive Anwärter für Berufe im öffentlichen Dienst: Wer sich offen im linken Spektrum engagiert, riskiert die Karriere.

Jüngster Fall ist der der Klimaaktivistin Lisa Poettinger: Das bayerische Kultusministerium verwehrte ihr im Februar die Zulassung für den Vorbereitungsdienst zur Gymnasiallehrerin mit der Begründung, sie gehöre einer »linksextremistischen Gruppierung« an, dem »offen antikapitalistischen Klimatreffen München«. Zudem benutze Poettinger laut Verfassungsschutz den »Begriff Profitmaximierung, der aus dem Kommunismus stammt«. Gegen dieses Berufsverbot wendet sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Nach einer öffentlichen Erklärung des Hauptvorstandes und von 14 Landesverbänden der Gewerkschaft, in der das Ministerium zur Rücknahme seiner Entscheidung aufgefordert wird, hat die Landesdelegiertenversammlung der GEW Baden-Württemberg sich Anfang April der Forderung angeschlossen, Lisa Poettinger den Zugang zum Referendariat zu ermöglichen. Außerdem solle sich der Gewerkschaftstag in Berlin für eine entsprechende Entschließung einsetzen. Dass Klimaaktivistinnen und -aktivisten »als Verfassungsfeinde ins Visier der Berufsverbote geraten, ist völlig inakzeptabel und beschädigt unsere Demokratie«, heißt es im Antrag der GEW Baden-Württemberg.

Am 11. April lud der DGB Freiburg ins Gewerkschaftshaus, wo es in einer Podiumsdiskussion um das »Revival politischer Disziplinierungen in Beruf und Ausbildung« ging. Neben Poettinger schilderte der Münchener Kartograph Benjamin Ruß seine Erfahrungen. »Es gab wohl niemanden, der nicht entsetzt war über die Begründungen«, schrieb der DGB-Stadtverbandsvorsitzende Werner Siebler, selbst in der Vergangenheit als Briefträger mit einem Berufsverbot belegt, anschließend auf Instagram und Facebook gesperrt. Kritik entzündete sich am neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, »der die Übernahme nach der Ausbildung auch an der Frage des Verhaltens zur sogenannten freiheitlich-demokratischen Grundordnung abhängig macht«, so Siebler.

Die GEW Baden-Württemberg hat bei ihrer Delegiertenkonferenz einen Antrag zur Rehabilitierung und Entschädigung für vom »Radikalenerlass« der siebziger und achtziger Jahre Betroffene verabschiedet. Seien damals offiziell bundesweit 1.525 Berufsverbote wegen angeblich (links-)extremistischer Aktivitäten verhängt worden, häuften sich seit 2023/24 wiederum solche Fälle. Die Gewerkschaft lehne Verfahren der Gesinnungsüberprüfungen bei Einstellungen strikt ab. »Wir lassen nicht zu, dass aus politischen Meinungsäußerungen, die nicht verfassungswidrig sind und nicht unseren Grundrechten widersprechen, und politischen Aktivitäten, die nach unserer geltenden Rechtsordnung keine Straftaten sind, strafrechtliche Folgen konstruiert werden, um Berufsverbote verhängen zu können.« Immerhin gebe es eine Entschließung des niedersächsischen Landtages von 2016, wonach »politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen«. Angesichts der Fälle von Berufsverboten wegen Engagements für Klimaschutz, Palästinenser in Gaza oder Flüchtlinge könnte ein solcher Beschluss bald obsolet sein.

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