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Aus: Ausgabe vom 10.04.2025, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

Jetzt sind es Chinesen

Ukraine-Krieg: Präsident präsentiert festgenommene mutmaßliche Kämpfer aus Volksrepublik, Beijing weist Beteiligung zurück
Von Reinhard Lauterbach
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Hauptsache im Fahrwasser Washingtons: Selenskij bei einer Pressekonferenz in Kiew (4.4.2025)

Die Ukraine hat nach Angaben von Präsident Wolodimir Selenskij im Donbass zwei Chinesen in russischer Uniform gefangengenommen. Selenskij präsentierte am Dienstag auf seinem Telegram-Kanal Aufnahmen eines Mannes mit asiatischen Gesichtszügen – wie sie allerdings auch in der Bevölkerung Russlands vorkommen. Wie schon im Fall der angeblichen Kämpfer aus Nordkorea blieb Selenskij konkrete Belege schuldig; die präsentierte Aufnahme trug, wie ein Blogger feststellte, ursprünglich den Dateinamen »KoreanSoldier2«, der aber später von ukrainischer Seite geändert worden sei.

Selenskij stellte sein angebliches Fundstück als eine Eskalation gegenüber der mit mäßigem Erfolg gespielten nordkoreanischen Karte dar: Hätten die angeblichen Koreaner noch auf russischem Boden – im Kursker Gebiet – gekämpft (was er damit implizit als Russlands gutes Recht anerkannte), so seien die Chinesen auf ukrainischem Territorium festgesetzt worden. Dass Russland den Donbass ebenfalls als eigenes Gebiet betrachtet, ignoriert Selenskij, weil er diesen Anspruch nicht anerkennt. Auf seine »Enthüllung« folgte der übliche diplomatische Zirkus: Der chinesische Botschafter in Kiew wurde ins Außenministerium einbestellt, der ukrainische in Beijing verlangte vom dortigen Außenministerium »Erläuterungen«.

Dort wies man die Beschuldigungen Selenskijs als haltlos zurück und forderte die Ukraine auf, den chinesischen Einsatz für eine diplomatische Lösung des Konflikts zu würdigen. China habe seine Bürger stets davor gewarnt, sich in Gebieten mit kriegerischen Auseinandersetzungen aufzuhalten, und erst recht, an Kampfhandlungen teilzunehmen. An dem Statement des Außenamtssprechers fällt auf, dass es die Möglichkeit einer »inoffiziellen« Beteiligung chinesischer Bürger am Krieg etwa als Söldner nicht von vornherein ausschließt. Ein politisches Interesse der Volksrepublik an einer solchen Eskalation kann man vernünftigerweise ausschließen.

Einstweilen sieht es daher danach aus, dass die Entdeckung der »chinesischen Kämpfer« Teil einer Propagandastrategie ist, mit der die USA im ukrainischen Boot gehalten werden sollen. Denn parallel zu Selenskijs Enthüllung veröffentlichte der Chef der Abteilung »Desinformationsbekämpfung« beim Nationalen Sicherheitsrat einen längeren Text über die angeblich aus einem chinesischen Investitionsprojekt in Georgien erwachsenden Gefahren. Der Autor Andrij Kowalenko behauptete, das Hafenprojekt an der georgischen Schwarzmeerküste solle »die NATO aus dem Schwarzen Meer verdrängen«. Als Beleg für diese Absicht führte er an, dass der geplante neue Hafen in der Ortschaft Anaklia nur 30 Kilometer von einem russischen Marinestützpunkt in Abchasien entfernt liege und dass die georgische Regierung US-Unternehmen aus dem Ausschreibungsverfahren für den Hafenbau ausgeschlossen habe.

Überdies betreibe China schon die georgischen Häfen Batumi und Poti, und Georgien habe sein Mobilfunknetz mit Huawei-Technologie ausgestattet. Man merkt: Die Argumentation ist sozusagen mundgerecht für die Trump-Administration komponiert. Die offizielle chinesische Begründung für das Investitionsprojekt ist, dass eine neue Exportroute für auf dem Landweg durch Zentralasien an den Rand Europas transportierte chinesische Produkte geschaffen werden solle, die weder Russland noch die Türkei berühre. Wenn es einen geopolitischen Kontext dieser Investition gibt, dann liegt er vermutlich eher in dem sich abzeichnenden Wirtschaftskrieg der USA gegen China, der entscheidend darauf beruht, der Volksrepublik die Exportwege abzuschneiden.

In Polen sorgte unterdessen eine Ankündigung aus Washington für Aufregung, den Betrieb des Militärflughafens Rzeszów-Jasionka im Südosten des Landes an die NATO zu übertragen. Er ist eine Drehscheibe für die westliche Militärhilfe für die Ukraine. An die Stelle der USA als Betreiber sollten künftig Norwegen und die BRD treten. Die seit drei Jahren in Rzeszów stationierten US-Soldaten würden an andere Standorte in Polen verlegt; ein Nettoabzug sei damit nicht verbunden. Als Begründung nannte das US-Verteidigungsministerium die »regelmäßige Evaluierung und Optimierung« der US-Militäreinsätze im Ausland. Dahinter kann sich vieles verbergen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (10. April 2025 um 10:46 Uhr)
    Der ukrainische Präsident bleibt konkrete Beweise schuldig. Die gezeigten Aufnahmen zeigen zwei asiatisch aussehende Männer – ein Phänotyp, der in weiten Teilen der Russischen Föderation nichts Außergewöhnliches darstellt. Pikantes Detail: Die Videodatei trug ursprünglich den Namen »KoreanSoldier2«. Ein Lapsus, der mehr über die Quellenlage verrät als Selenskyjs Worte selbst. Dabei ist der völkerrechtliche Rahmen klar: Wer in russischer Uniform kämpft, agiert als Teil der russischen Streitkräfte – unabhängig von Herkunft oder Nationalität. Das gilt auch umgekehrt für Ausländer, die in ukrainischer Uniform dienen. Was Selenskyj als Eskalation verkauft, ist juristisch betrachtet schlicht ein Nebelwurf. Dass China die Vorwürfe als »haltlos« zurückweist, überrascht daher nicht. Besonders irritierend wird es, wenn die Ukraine beginnt, sich öffentlich über ein chinesisches Hafenprojekt in Georgien zu echauffieren. Seit wann ist die Regierung in Kiew für die geopolitischen Absichten Beijings am Schwarzen Meer zuständig? Diese Empörung wirkt bemüht – oder schlimmer: orchestriert. Derweil kündigt Washington an, die Kontrolle über den strategischen Luftwaffenstützpunkt Rzeszów in Polen an NATO-Partner wie Norwegen und Deutschland abzugeben. Ein normaler Vorgang, heißt es offiziell – Truppenverlagerung statt Abzug. In der Ukraine aber dürften die Alarmglocken schrillen. Dabei wäre es klüger, auch diesen Schritt nüchtern einzuordnen: Er passt zur These, dass die USA eine Neuausrichtung ihrer globalen Strategie anstreben – mit einem Ziel: Russland aus Chinas Griff zu lösen, um das arktische Spielfeld neu zu ordnen. Ohne China.

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