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Aus: Ausgabe vom 22.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Katholizismus

Der jüngste Heilige

In den Souvenirgeschäften des Touristenorts Assisi werden bereits die ersten Figuren von Carlo Acutis mit Heiligenschein verkauft. Der italienische Teenager starb 2006 an Leukämie. Im Vatikan sollte Carlo Acutis am kommenden Sonntag heiliggesprochen werden. Wegen des Todes von Papst Franziskus wurde der Termin verschoben. Aber die Entscheidung bleibt.

Der Sohn aus einer begüterten Familie wird dann der erste Heilige aus der Generation der Millennials – also aller, die zwischen 1980 und 1999 geboren wurden. In den amtlichen Verlautbarungen liest sich das Leben von Carlo Acutis wie gemacht, um jüngere Leute wieder an den katholischen Glauben heranzuführen: ein »kleines Computergenie«, ein »Influencer Gottes«, ein »­Cyberapostel«, ein »Heiliger unserer Zeit«. Acutis wurde 1991 in London geboren, wo sein Vater in der Finanzwelt arbeitete, und dort auch getauft.

Anfang Oktober 2016 bekam er die Diagnose: akute Leukämie. Am 12. Oktober war er tot. Bald danach begann auch schon der Weg zum Heiligen, gefördert von der Kirche und den Eltern. Mehrfach wurde der Leichnam umgebettet, von einem Dorffriedhof bis in die Wallfahrtskirche Santa Maria Maggiore nach Assisi. Vergangenes Jahr kamen eine Million Menschen dorthin. Die sterblichen Überreste liegen nun in einem Sarkophag mit Glasscheibe. Der tote Junge trägt Jeans und Turnschuhe. In die Hände hat man ihm einen Rosenkranz gelegt. Das Gesicht und die Hände wurden mit Silikon nachmodelliert.

Selig- und Heiligsprechungen laufen nach einem komplizierten, mehrstufigen Verfahren ab. Dafür wird das Leben der Kandidaten genau durchleuchtet. Einst begann das frühestens 50 Jahre nach dem Tod. Heute geht es manchmal sehr schnell. In der Regel ist es erforderlich, dass dem potentiellen Heiligen ein Wunder zugeschrieben werden kann. Bei Acutis wertete die zuständige Vatikanbehörde die Heilung eines Kindes aus Brasilien und einer jungen Frau aus Costa Rica in diesem Sinne. Der Papst stimmte zu.

Inzwischen gibt es mehr als 10.000 Heilige. Allein Franziskus zeichnete für fast 1.000 verantwortlich. Manchen geht die Heiligwerdung inzwischen zu schnell. Was nichts daran ändert, dass viele in Assisi mit dem neuen Heiligen schon gutes Geld verdienen. Auf Webseiten sind vermeintliche Reliquien im Angebot. Eine Locke, die angeblich von Acutis stammt, wurde kürzlich für 2.110 Euro verkauft. Das war der Kirche dann doch zu viel. Der Bischof von Assisi, Domenico Sorrentino, stellte Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. (dpa/jW)

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