Kosmos auf links gedreht
Von Erik Rhea
Die Jetztzeit ist eine Zumutung, man kennt es: Die Brötchen schmecken fad, die Flugzeuge fallen vom Himmel und die Weltraumteleskope werden nach homophoben Verwaltungsbeamten benannt, aber es ist eben doch nicht alles schlecht. Das aktuelle Weltraumteleskop zum Beispiel funktioniert immerhin hervorragend.
Das James Webb Space Telescope (JWST) wurde Anfang 2022 in seine Umlaufbahn gebracht und soll vor allem extrem weit entfernte Objekte aus der Frühphase des Universums untersuchen. Daher ist es darauf ausgelegt, besonders rotes und infrarotes Licht einzufangen. Aufgrund des kosmologischen Dopplereffektes erscheinen weit entfernte Objekte nämlich rotverschoben: Während das Licht von den zu beobachtenden Objekten zu uns unterwegs ist, dehnt sich das Universum aus, wodurch die Lichtwellen in die Länge gezogen werden und ihre Farbe ins Rote hin verändern. Je weiter ein Objekt entfernt ist, um so stärker kommt dieser Effekt zum Tragen.
Das JWST kann Galaxien auflösen, die bis zu 13,5 Milliarden Lichtjahre entfernt sind und zu den ersten Galaxien überhaupt gehören. Aktuell ist es dabei, eine Durchmusterung des Hubble Deep Field und des Hubble Ultra Deep Field, also derjenigen Bereiche, die von dem berühmten Hubble-Teleskop eingehend beobachtet wurden, vorzunehmen und dabei Hunderte neue Galaxien zu entdecken und zu kartographieren. Dabei sind schon jetzt erstaunliche Ergebnisse herausgekommen. Beim Durchsehen der Daten von einer großen Menge extrem weit entfernter Galaxien aus dem frühen Universum fiel auf, dass es eine bevorzugte Richtung gibt, in die sich diese Galaxien drehen. Man fand etwa doppelt so viele Galaxien, die sich im Uhrzeigersinn drehen, wie gegen den Uhrzeigersinn. Das ist ziemlich bemerkenswert, geht man doch normalerweise davon aus, dass das Universum in alle Richtungen etwa gleichartig ist und es in ihm keine relevante Asymmetrie und also auch keine Vorzugsrichtung – beispielsweise bei der Drehrichtung der Galaxien – gibt.
Rotiert das Universum?
Egal welchen Schluss man aus diesem Ergebnis zieht, er zwingt uns, unsere bisherige Vorstellung vom Universum grundlegend zu hinterfragen. Entweder das Universum hat eine bevorzugte Richtung, was unsere bisherigen Theorien in Frage stellt und zudem die Frage aufwirft, woher diese Asymmetrie kommt, oder aber unsere Beobachtungen unterliegen einem bisher nicht erklärten Bias, welcher wiederum alle unsere bisherigen astronomischen Beobachtungsergebnisse in Zweifel zieht und wir aufgrund dessen ebenfalls unsere gängigen kosmologischen Vorstellungen hinterfragen müssen.
Da das JWST darauf ausgelegt ist, möglichst rotes Licht zu beobachten, könnte es sein, dass die Umdrehungsgeschwindigkeit unserer eigenen Galaxie die Rotverschiebung in einer Weise verstärkt, dass vor allem sich im Uhrzeigersinn drehende Galaxien rotverschoben werden und dadurch vom JWST ein wenig besser beobachtet werden können und entsprechend häufiger auf unseren Aufnahmen auftauchen. Bisher hatte man den Effekt der Rotation der Milchstraße für relativ schwach gehalten; sollte er stärker sein als erwartet, müssen wir tatsächlich fast alle Ergebnisse der beobachtenden Astronomie neu bewerten.
Sollte die Verteilung der Galaxien jedoch tatsächlich auf eine Asymmetrie im Universum zurückzuführen sein, so muss diese Asymmetrie irgendwie durch die Geschichte des Universums bedingt sein, was wiederum Fragen über die Anfänge und den Ursprung des Universums aufwirft. Eine Erklärung könnte sein, dass das Universum an sich rotiert. Wäre dies der Fall, könnte es sein, dass das Universum aus etwas Größerem entstanden ist, von dem es diese Rotation »geerbt« hat. Manche Forscher gehen davon aus, dass man das Universum als ein rotierendes schwarzes Loch auffassen müsse, welches innerhalb einer noch größeren Welt außerhalb seines Ereignishorizontes existiert. Ein schwarzes Loch hat einen sogenannten Schwarzschildradius, auch Ereignishorizont genannt. Das ist eine Grenze, hinter die von außen nicht mehr geschaut werden kann, da Licht oder andere Signale nicht von innerhalb des Schwarzschildradius nach außen dringen können. Auch das beobachtbare Universum kennt eine solche Grenze – ab einer hinreichenden Entfernung ist das Licht eines Objektes aufgrund der Ausdehnung des Universums prinzipiell nicht mehr in der Lage, bis zu uns zu gelangen. Man spricht dabei vom kosmologischen Ereignishorizont.
Neue Weltbilder
Die Interpretation des Universums als ein schwarzes Loch ist trotz dieser Gemeinsamkeit eher abenteuerlich. Schwarze Löcher, die wir kennen, sind durch eine extreme Verdichtung ihrer Masse gekennzeichnet, wie sie in kollabierenden Sternen auftritt, und dehnen sich auch nicht in der Art aus, wie es die bisherigen kosmologischen Modelle nahelegen. Dennoch ist diese, auch als Schwarzschildkosmologie bezeichnete Auffassung eine ernsthaft diskutierte Alternative zur gängigen Kosmologie.
Eine weitere Erklärung der Vorzugsrichtung könnte in der frühen Entwicklung des Universums liegen. Die Galaxienhaufen sind innerhalb von gigantischen netzartigen Strukturen im Universum angeordnet. Im frühen Universum, welches insgesamt kleiner war, könnte sich die Materie auf eine Weise gegenseitig gravitativ beeinflusst haben, dass eine Drehrichtung sich besonders verbreitet hat und diese Verteilung sich schlicht über Milliarden von Jahren erhalten hat. Diese Theorie würde auch andere Beobachtungen erklären, wie zum Beispiel die Vorzugsrichtung bei der Rotation von Quasaren. Zudem können wir solche Effekte auch bei kleineren Systemen, wie zum Beispiel in Sternsystemen, beobachten.
Auch diese Theorie wirft Fragen über den genauen Verlauf der Entwicklung des frühen Universums auf. Das JWST hat unter anderem die Mission, die großräumige Struktur des Universums und seine Entwicklung zu erforschen, und es werden dazu noch weitere Ergebnisse erwartet. Es ist generell zu erwarten, dass sich das kosmologische Weltbild in den kommenden zehn Jahren noch mehrfach völlig umkrempeln wird, insbesondere durch die erwarteten Ergebnisse der weltraumgestützten Survey-Astronomie. In diesem Sinne leben wir in spannenden Zeiten.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- NASA/ESA18.02.2025
Der Knick in der Optik
- Wikimedia Commons04.06.2024
Tief in Raum und Zeitraum
- COVERMG/IMAGO28.05.2024
Schlafendes Monster
Mehr aus: Natur & Wissenschaft
-
Hinweise auf Leben im All
vom 22.04.2025