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Aus: Ausgabe vom 24.04.2025, Seite 4 / Inland
BSW nach der Bundestagswahl

Jäger der verlorenen Stimmen

Einspruch eingelegt: BSW fordert vollständige Neuauszählung der Bundestagswahl. Hunderte weitere Beschwerden
Von Kristian Stemmler
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Amira Mohamed Ali am Mittwoch bei der Übergabe der Unterlagen für den Wahleinspruch in Berlin

So knapp wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Februar ist noch keine Partei an der Fünfprozenthürde bei einer Bundestagswahl gescheitert – das BSW kam laut amtlichem Endergebnis am 23. Februar auf 4,981 Prozent der Stimmen. Hieß es zunächst, der Partei würden 13.400 Stimmen zur Überwindung der Fünfprozenthürde fehlen, ist nun, nach der Bereinigung einiger offensichtlicher Auszählungsfehler, die tatsächlich in auffallender Häufung das BSW betrafen, von rund 9.500 Stimmen die Rede. Am Mittwoch – und damit am letzten möglichen Termin – hat die Partei beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags wie angekündigt Einspruch gegen das Wahlergebnis eingelegt. Sie fordert eine vollständige Neuauszählung der Stimmen, weil Zählfehler dazu geführt hätten, dass bis zu 32.000 Stimmen für das BSW nicht oder falsch zugeordnet worden seien.

»Wir müssen davon ausgehen, dass, wenn noch einmal neu ausgezählt würde, das BSW im Bundestag wäre«, erklärte Koparteichefin Amira Mohamed Ali bereits am Dienstag gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Die Partei behaupte nicht, »dass wir betrogen wurden oder dass manipuliert wurde«, fügte sie hinzu. Allerdings glaube man, »dass Fehler passiert sind«. »Das BSW verlangt nicht mehr und nicht weniger, als dass jede Stimme, die für das BSW abgegeben wurde, auch für das BSW zählt. Das ist bisher definitiv nicht der Fall«, sagte Koparteichefin Sahra Wagenknecht der Rheinischen Post.

Die Partei geht von mehreren Fehlerquellen bei der Auszählung aus. So habe die Namensähnlichkeit mit dem auf dem Wahlzettel direkt nebenan plazierten »Bündnis Deutschland« zur Verwechslung bei den auszählenden Wahlhelfern geführt. Da die BSW-Kreuzchen auf Wahlzetteln knapp unter einer Faltung lagen, seien zudem Stimmen der Partei übersehen worden. Und unter den als ungültig gewerteten Stimmen seien viele »falsch gezählte BSW-Stimmen«. Einige dieser Fehler hat die Partei nach eigenen Angaben durch Recherchen belegt. Auf dieser Grundlage hat sie hochgerechnet und ist zu dem Schluss gekommen, dass die gefundenen Stimmen für das BSW ausreichen, »um hochgerechnet auf 95.109 Wahlurnen und Briefwahlbezirke die Fünfprozenthürde zu überschreiten«.

BSW-Generalsekretär Christian Leye sprach gegenüber AFP von einer Situation, »in der die Demokratie noch nie gewesen ist«. Es gehe auch um grundsätzliche Fragen: »Hat die Demokratie hier funktioniert? Und hat die nächste Bundesregierung eine gewählte Mehrheit, oder bräuchte Friedrich Merz einen weiteren Koalitionspartner?« so Leye mit Blick auf CDU-Chef Friedrich Merz, der sich am 6. Mai zum Bundeskanzler wählen lassen will.

Das wäre mit dem BSW im Bundestag so nicht möglich. Die 630 Mandate würden neu verteilt werden, SPD und Union hätten keine Mehrheit. Alle jetzt im neuen Bundestag vertretenen Parteien würden ein paar Mandate verlieren. Schon deshalb darf man davon ausgehen, dass diese Parteien ausnahmslos kein Interesse an einem Erfolg der BSW-Beschwerde haben – einmal ganz davon abgesehen, dass es vielen Leuten im Regierungsviertel aus politischen Gründen ganz recht ist, dass die Wagenknecht-Partei nicht mehr im Bundestag vertreten ist. Beim BSW ist deshalb die Zuversicht, dass der Einspruch Erfolg hat, offensichtlich nicht sonderlich ausgeprägt. Leye erklärte, wegen der erheblichen Folgen für die anderen Parteien im Bundestag halte er es für unwahrscheinlich, dass diese in dem vorgesehenen Prüfverfahren dem Einspruch des BSW stattgeben.

Die Partei hatte bereits Mitte März mit einem Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht versucht, noch vor Feststellung des amtlichen Endergebnisses eine Neuauszählung zu erwirken. Die Karlsruher Richter lehnten dies aber ab und verwiesen auf den Weg über den Wahlprüfungsausschuss. Auch ein Vorstoß der Partei beim Verwaltungsgericht Hessen hatte keinen Erfolg.

Laut Wahlprüfungsgesetz kann jeder Wahlberechtigte binnen zwei Monaten nach einer bundesweiten Wahl schriftlich Einspruch einlegen. Nach Angaben des Bundestags gingen bis Dienstag nachmittag 885 solcher Eingaben ein. Über diese Beschwerden berät nun der Wahlprüfungsausschuss. Die Entscheidung trifft anschließend das Parlament. Gegen diese Entscheidung kann wiederum Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden.

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