Hinterrücks erschossen
Von Kristian Stemmler
Hunderte haben vor einem Laden in der Innenstadt Blumensträuße und Kerzen niedergelegt. Immer wieder bleiben Passanten stehen und verharren in stillem Gedenken. Hier, im niedersächsischen Oldenburg, wurde am frühen Morgen des Ostersonntags der 21 Jahre alte Lorenz A. von einem Polizisten niedergeschossen. Er starb wenig später im Krankenhaus. Der Fall wirft zunehmend Fragen auf, weil immer mehr Tatsachen publik werden, die Zweifel an der polizeilichen Darstellung des Einsatzes wecken. Auch stehen Vorwürfe im Raum, dass Rassismus eine Rolle gespielt haben könnte – Lorenz A. war Afrodeutscher, sein Vater stammt aus Togo.
Die tödlichen Schüsse wurden offenbar am Sonntag gegen 2.40 Uhr abgefeuert. Der 21jährige soll nach Angaben der Polizei vor einer Diskothek Reizgas versprüht und mehrere Menschen leicht verletzt haben. Anschließend sei er geflüchtet, habe Verfolger mit einem Messer bedroht. In einer benachbarten Straße – so behauptete die Polizei – sei A. bedrohlich auf weitere Polizisten zugegangen und habe Pfefferspray gesprüht. Dabei sei ein Beamter durch das Reizgas verletzt worden. Dann habe ein 27 Jahre alter Beamte mit seiner Dienstwaffe auf A. geschossen.
Mit dieser Darstellung sollte vermutlich der Eindruck erweckt werden, der Beamte habe in Notwehr gehandelt. Doch diese Version wurde erschüttert, als am Dienstag der Obduktionsbericht bekannt wurde. Der ergab, dass den 21jährigen drei Schüsse an der Hüfte, am Oberkörper und am Kopf getroffen hatten – und zwar allesamt von hinten. Ein vierter Schuss streifte Lorenz A. am Oberschenkel. Am Mittwoch berichtete der NDR, die Staatsanwaltschaft Oldenburg habe gegenüber dem Sender erklärt, dass das Opfer die Beamten nicht mit einem Messer bedroht habe.
Angesichts dieser Erkenntnisse übte die Recherchegruppe »Death in Custody« (Tod in Gewahrsam), die sich mit Fällen von tödlicher Polizeigewalt befasst, deutliche Kritik an der Polizei. Deren Behauptung, wonach sich die Beamten bei dem Einsatz nur verteidigt hätten, werde durch die Ergebnisse der Obduktion widerlegt, erklärte Lotta Maier für die Gruppe am Donnerstag gegenüber junge Welt. »Wir sind überzeugt: Das war keine Notwehr, es gab keinen Grund, auf Lorenz zu schießen«, sagte sie.
Maier wies außerdem darauf hin, dass Lorenz A. bereits der elfte Mensch ist, der in diesem Jahr von der deutschen Polizei erschossen wurde. Jeder dieser Todesfälle verdiene »Widerstand und Protest«, oft würden sie aber nur mit einer Meldung in der Lokalpresse abgehandelt.
Kritik kam auch von der Initiative »Gerechtigkeit für Lorenz«, die sich direkt nach dessen Tod gegründet hat. Es zeige sich immer wieder, dass Polizeieinsätze tödlich enden, wenn Schwarze oder »migrantisierte Menschen« betroffen seien, erklärte die Initiative laut Taz vom Dienstag. Unter dem Motto »Wer vier Schüsse von hinten abgibt, will nicht stoppen – sondern töten!« ruft die Initiative für diesen Freitag ab 18 Uhr auf dem Pferdemarkt in Oldenburg zur Demonstration auf. Sie fordert Aufklärung und ein Ende von Polizeigewalt.
Der Anwalt von A.s Mutter, Thomas Feltes, forderte am Mittwoch gegenüber dpa, dass Kameras in der Straße überprüft und Handys der eingesetzten Beamten ausgewertet werden. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hatte sich am Dienstag zum Ergebnis der Obduktion geäußert. Sie sprach von »schwerwiegenden Fragen« und »verheerenden Vorwürfen«. Sie setze darauf, »dass Polizei und Justiz den Hergang der Ereignisse vom vergangenen Wochenende lückenlos rekonstruieren«.
Vertreter der Polizeilobby wollten, wie bei solchen Fällen üblich, von einem Fehlverhalten nichts wissen. Der Landesvorsitzende der sogenannten Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen, Kevin Komolka, warnte am Mittwoch gegenüber dem NDR vor einer Vorverurteilung. Es seien Rassismusvorwürfe aufgekommen, Polizisten würden als »schießwütige Raufbolde« hingestellt. Beides sei fehl am Platz. Patrick Seegers, Vorsitzender der »Deutschen Polizeigewerkschaft« in Niedersachsen, behauptete gar, die Hautfarbe von Opfern spiele bei Polizeieinsätzen keine Rolle. Er sprach sich zudem für den Einsatz von sogenannten Tasern als Alternative zu Schusswaffen aus.
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