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Aus: Ausgabe vom 25.04.2025, Seite 8 / Inland
BAMF-Chef gegen Asylrecht

»Das ist ein Totalangriff auf unser Rechtssystem«

Juristen verurteilen Forderung des BAMF-Chefs, das Recht auf individuelles Asyl zu schleifen. Ein Gespräch mit Berenice Böhlo
Interview: Yaro Allisat
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»Gegen jeden Rechtsruck«: Demonstrationszug eines Bündnisses gegen politische Angriffe auf das Asylrecht durch Union und AfD (Berlin, 2.2.2025)

Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Hans-Eckhard Sommer, hatte sich zuletzt damit hervorgetan, das Prinzip des individuellen Rechts auf Asyl für hinfällig zu erklären. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht, wenn der BAMF-Chef sich so äußert?

Sommer schlägt vor, das individuelle Asylrecht abzuschaffen und es statt dessen durch reine Aufnahmeprogramme zu ersetzen. Und er blendet systematisch die Komplexität der Sachverhalte einer Flucht aus. Ich sehe es als hochproblematisch an, wenn der Chef einer Behörde solch eine Agenda setzt und dann zielgerichtet eine diesbezügliche Kampagne startet. Statt den Mitarbeitern vorzugeben, gewissenhaft jeden Asylantrag zu prüfen, setzt der Behördenchef eine Richtung, die auf Abschaffung des Asylrechts ausgerichtet ist. Dabei ist eine Verbesserung der behördlichen Verfahren dringend erforderlich.

Selbstverständlich setzen viele Mitarbeiter ihren Prüfauftrag sorgfältig um. Aber immer öfter kommt das Amt seiner Aufklärungspflicht über die Fluchtgründe nicht nach. Sei es in bezug auf zu pauschalierte, allgemeine Fragen oder die Aufklärung der medizinischen und psychologischen Hintergründe der Betroffenen. So landet ein großer Teil der Entscheidungen vor den Gerichten, die dann die Aufgabe des BAMF übernehmen, die Fluchtgründe aufklären und oftmals eine positive Entscheidung treffen.

Die Rettungsorganisation Sea Watch hat eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Könnte sie damit Erfolg haben?

Ich bezweifle das. Dennoch handelt es sich um einen richtigen und wichtigen Schritt. Es ist äußerst fragwürdig, wenn ein Behördenleiter auf einer Konferenz (der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, jW) – hinter sich riesengroß auf einem Bildschirm eingeblendet »Bundesamt für Migration und Flüchtlinge« –, seine Äußerungen angeblich als »Privatier« präsentiert, die er übrigens ähnlich auch in einem Fachaufsatz präsentierte. Das anwesende Fachpublikum hat auf diese Äußerung scharf reagiert und sie kritisiert.

Wie ordnen Sie Sommers Vorschlag juristisch ein?

Als RAV sehen wir darin einen Totalangriff auf unser Rechtssystem. Hier soll ein individuelles, subjektives Recht durch einen quasi staatlichen Gnadenakt ersetzt werden. Gegen zusätzliche humanitäre Aufnahmeprogramme spricht nichts, wir fordern diese ein.

Was würde ein solches Verfahren für Menschen bedeuten, die in ihrem Herkunftsland politische Verfolgung fürchten müssen?

Ich weiß nicht, wie Herr Sommer sich das vorstellt, was er fordert. Wie soll sich eine Person, die sich beispielsweise auf Homosexualität als Fluchtgrund beruft, im Herkunftsstaat ohne Gefährdung an eine Botschaft, eine internationale Organisation oder den UNHCR wenden? Wie in einem Drittstaat? Welche Ressourcen und Bedingungen hätte ein solches Verfahren? Unter welchen Bedingungen leben die Schutzsuchenden dann?

Ein Aufnahmeprogramm kann kein rechtsförmiges Verfahren ersetzen, in dem eine Behörde eine Entscheidung trifft, die dann von einem Gericht überprüft werden kann. Schon jetzt erkennt Deutschland die Entscheidungen in Asylverfahren, die der UNHCR in der Türkei durchführt, nicht automatisch an, weil es dort kein Asylsystem gibt. Das ist schon jetzt ein hochkompliziertes Verfahren. Was Herr Sommer vorschlägt, scheint mir keine ernst gemeinte Möglichkeit zu sein, die auf einer Sachanalyse basiert. Es ist Teil einer Kampagne, das angebliche Problemfeld »Asyl« zu markieren.

Beziehungsweise das Problem der »illegalen Migration« …

Allein der Begriff ist ein Widerspruch in sich, dies ist nach internationalem Recht eindeutig, was Schutzsuchende angeht. Genau das sieht das Asylsystem vor: dass jeder Mensch an der Grenze ein Schutzgesuch aussprechen und dann einreisen kann. Ab diesem Moment handelt es sich nicht mehr um illegale Migration, sondern im Gegenteil um ein Verfahren, das nationales, europäisches und internationales Recht genauso erfordert.

Berenice Böhlo ist Rechtsanwältin für Migrationsrecht und Vorstandsmitglied im Republikanischen Anwält*innenverein (RAV)

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