Journalist gegen »Jüdische Stimme«
Von Max Grigutsch
Es war eine Veranstaltung, die das Baldige vorausahnen lässt. Am 13. September 2023 lud unter anderem das Berliner Bezirksamt Neukölln zur Projektvorstellung »Mythos#Israel1948« in die Bar Bajszel ein. Es sollten »Gerüchte und Mythen« über die Staatsgründung Israels diskutiert, »Argumentationshilfen« nahegebracht und »israelbezogenem Antisemitismus« entgegengewirkt werden, heißt es auf der Internetseite des Amts. Wenig später berichtete der Verein »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost«, der diesen Geschichtsrevisionismus ablehnt, auf Twitter von »körperlichen Übergriffen« während der Veranstaltung. Der proisraelische Journalist Nicholas P. habe einer Teilnehmerin gedroht und ihre Mitschriften zu entreißen versucht.
P. wollte sein Handeln so nicht beschrieben wissen und klagte gegen den jüdischen Verein auf Unterlassung. Am Donnerstag fand der voraussichtliche letzte Gerichtstermin vor Urteilsverkündung statt. Beide Konfliktparteien ließen sich durch ihre Anwälte vertreten.
Der politische Kontext ist weitreichend. Nach dem 7. Oktober 2023 begehrte in Deutschland und in aller Welt die palästinasolidarische Bewegung auf. Die Broschüre »Mythos#Israel1948« wurde später auf Entscheidung von CDU und SPD in der Bezirksverordnetenversammlung an Neuköllner Schulen verteilt, trotz fraglichem Wahrheitsgehalt. Die Linke Neukölln kritisierte, der Text leugne die 1948er-Vertreibung von 750.000 Palästinensern und ihre Enteignung.
Die Klärung der Sachfrage vor dem Landgericht Berlin verlief am Donnerstag hingegen eher kleinteilig. Hatte P. eine anwesende Person bedroht und ihre Notizen wegzureißen versucht oder eben nicht? Die besagte Teilnehmerin wurde bereits bei einem Termin im März befragt und bestätigte den Vorgang. Sie und weitere Zeugen sollten auf Geheiß des Gerichts die Greifbewegung P.s und die darauffolgende Ausweichbewegung nachstellen. In Frage stand etwa die Geschwindigkeit des mutmaßlichen Griffs, die Position der beiden Personen zueinander oder die Positionen der geladenen Zeugen zum Geschehen. Von einer Zeugin der Verteidigung forderte der Klägervertreter Christian Löffelmacher in väterlich-herabwürdigendem Ton – »Komm, wir malen das mal zusammen« – eine Skizze der Szene.
Löffelmacher zufolge habe sein Mandant »überhaupt kein Motiv gehabt, irgendwem etwas wegzureißen«. Die Motivation, etwaige schlechte Presse durch propalästinensische Stimmen zu verhindern, wie aus P.s öffentlichkeitswirksamer Tätigkeit als Fürsprecher der israelischen Kriegführung in Gaza hervorgehen könnte, kam dem Gericht nicht in den Sinn. Leute fühlten sich »aus der propalästinensischen Blase bedroht«, meinte Löffelmacher hingegen zu wissen. »Seit dem 7. Oktober hat sich diese Szene unglaublich radikalisiert«, auch in der Debatte um die »sogenannte Nakba«. In diesem »Meinungskrieg« sei sein Mandant »angegriffen worden«. Die Beklagtenseite – die »Jüdische Stimme« – hätte einen »Hang zu lügen«, erklärte der Rechtsanwalt.
Löffelmacher drohte seinerseits dem Vertreter des Angeklagten, Ahmed Abed. Er hatte erfolglos eine weitere Zeugin in den Prozess einführen wollen, die angeblich bei der Veranstaltung 2023 vor Ort war. Laut Löffelmacher war die Zeugin an diesem Abend gar nicht anwesend; es wäre überhaupt in Abeds »persönlichem Interesse« gewesen, das nicht zu behaupten, so der Anwalt. Nach Verhandlungsende kam es im Flur zu einer Auseinandersetzung der beiden Rechtsanwälte. »Ich sage Ihnen ehrlich, das war gerade extrem dumm von ihnen – suchen Sie sich im Zweifel einen neuen Job«, konstatierte der Anwalt von P. Auf Nachfrage von junge Welt kommentierte Abed im Anschluss: »Weil der gegnerische Rechtsanwalt keine überzeugenden Zeugen vorlegen konnte, fing er an, mich zu bedrohen.«
Allerdings: Da es sich um eine ehrverletzende Aussage der »Jüdischen Stimme« über P. handele, verortete der Richter die Beweislast auf Seite des Beklagten – keine kleine Hürde. Die Zeugen der Klägerseite hielt Abed aber für »unglaubwürdig«. Ein Urteil des Gerichts wird am 6. Mai erwartet.
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