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Aus: Ausgabe vom 26.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Nahost

»Vielleicht steht er für die ›Generation Gaza‹«

Über Antisemitismus im Rap und die Vorwürfe gegen Macklemore. Ein Gespräch mit Marcus Staiger
Von Gerhard Hanloser
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Vorsicht, parteiisch: Der US-Rapper Macklemore

Im Moment ist der US-Rapper Macklemore stark in der Kritik. Anlass ist ein geplanter Auftritt von ihm beim Deichbrand-Festival in Niedersachsen im Juli. Wie schon bei Roger Waters wird ihm – etwa vom Zentralrat der Juden – Antisemitismus vorgeworfen, gibt es Aufrufe, seine Konzerte abzusagen. Was ist davon zu halten?

Nun, die Vorwürfe sind ja immer die gleichen. Da äußert sich jemand propalästinensisch, und dann wird ihm vorgehalten, dass er sich israelbezogen antisemitisch äußere – obwohl er sich gegen jegliche gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausspricht und auch keine antijüdischen Statements gedroppt hat. Insofern ist es tatsächlich ein politisches Instrument, um unliebsame Stimmen zu canceln oder zumindest zu silencen. Dass seine programmatischen propalästinensischen Videos auf Youtube geshadowbanned und mit einer Altersfreigabe versehen sind, unterstreicht diese Vermutung nur.

Ist Macklemore ein politischer Künstler?

Macklemore gilt eher als Feelgood-Künstler, der sich auch mal zu gesellschaftlichen Themen äußert. Es gibt einen Song, in dem er sich mit dem LGBTQ-Thema auseinandersetzt, und man könnte schon die Frage stellen, warum er sich jetzt ausgerechnet mit Palästina beschäftigt. Vielleicht steht er aber an dieser Stelle für eine Generation, die mit dem Gazakrieg so etwas wie ihren Vietnam-Moment erfahren hat. Die »Generation Gaza«, die sich darüber politisiert und radikalisiert hat und deshalb eine klare Parteilichkeit einnimmt.

Insbesondere das Video zum Song »Fucked up« wird skandalisiert: Darin gibt es eine Gegenüberstellung des berühmten Fotos des Jungen aus dem Warschauer Ghetto mit erhobenen Händen mit Bildern eines palästinensischen Kindes aus Gaza in ähnlicher Pose. Ist das problematisch?

Die rechten israelsolidarischen Kräfte sprechen da gleich von »Holocaustrelativierung«. Ich persönlich halte nichts davon, als Künstler ständig NS-Vergleiche zu machen. Aber man kann es auch als universalistischen Aufruf verstehen. Keiner stirbt anders als der andere. Keiner leidet anders. Palästinensische Eltern trauern mit dem gleichen Schmerz um ihr totes Kind, das von einer Fliegerbomber zerfetzt wurde, wie jüdische Eltern, deren Kind im Gas umgebracht wurde. Da hilft es auch nicht, auf die Singularität des Holo­caust hinzuweisen. Der Schmerz ist der gleiche, und insofern ist es nachzuvollziehen, dass in künstlerischen Werken, die sich mit diesem Leid beschäftigen, Bilder gesucht werden, die diese Parallelen aufzeigen. Eine Aufforderung an die Gesellschaft: Wenn ihr dieses Leid anerkennt, dann erkennt das andere Leid doch auch an! Auf einer ganz persönlichen Ebene ist es doch die gleiche Art von Ungerechtigkeit, die gleiche Art von Unterdrückung.

Worauf zielt die Kampagne gegen Macklemore?

Die Kampagne gegen Macklemore hier reiht sich ein in eine ganze Reihe von Aktionen der offiziellen deutschen Politik, um propalästinensische Positionen zu diskreditieren. Yanis Varoufakis erhielt ein Einreiseverbot, als er den Palästinakongress vor einem Jahr besuchen wollte. Francesca Albanese, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nation für die palästinensischen Gebiete wird auf politischen Druck hin von der FU ausgeladen, ein KIKA-Moderator verliert seinen Job, weil er bei einem Solidaritätscamp im Westjordanland war, Leute verlieren ihre Jobs, wenn sie sich propalästinensisch auf Social Media äußern, feministische Vereine verlieren die Förderung, weil ihre Mitarbeiterinnen auf propalästinensischen Demos waren, vier ausländische Studenten sollen wegen ihrer Teilnahme an propalästinensischen Universitätsbesetzungen abgeschoben werden und so weiter und so fort. Insofern ist es nur logisch, dass ein Rapper mit dieser Reichweite entsprechend angegriffen wird.

Sie haben sich viel mit Antisemitismus im HipHop auseinandergesetzt. Können Sie uns ein Beispiel für einen Song nennen, der antisemitischen Aussagecharakter hat?

Der deutsche Rapper Kollegah benutzt im Song »Apokalypse« (aus dem Jahr 2016, jW) meines Erachtens eine klassisch antisemitische Bildsprache. Dort trägt der Teufel einen Ring mit einem Davidstern, die Endschlacht zwischen Gut und Böse findet in Israel-Palästina statt, wobei die Heere der Finsternis in Form zweier jüdischer Völker von einem Geheimbund erweckt werden, der im Besitz eines Tausende Jahre alten Buches ist. Die letzten Menschen versammeln sich in Ostjerusalem im Felsendom, während um sie herum Heerscharen von Dämonen aus ihren Löchern kriechen, wobei der Endschlag gegen den eigentlichen Teufel dann wiederum im Bankenviertel von London stattfindet, verbunden durch ein magisches Portal.

Das ist alles ziemlich wild und erinnert sehr an die antisemitischen Weltordnungsideen von Necmettin Erbakan, dem politischen Ziehvater von Erdoğan. Der behauptet nämlich, dass der Westen von »einem rassistischen Imperialismus, dem Zionismus«, regiert werde. Dieser sei vor 5.765 Jahren durch ein »Zauberbuch mit Namen Kabbala« entstanden, wobei es eben eine zionistische Weltverschwörung gebe, die dann auch die »Sekte des Protestantismus« schuf und sie mit der Etablierung der kapitalistischen Ordnung beauftragt habe – weswegen der Zionismus ein Glaube und eine Ideologie sei, dessen Zentrum sich bei den Banken der New Yorker Wall Street befinde. Wenn man sich Kollegahs Video zu dem Song unter diesem Gesichtspunkt anschaut, dann ist alles da. Die Zweiteilung der Welt in Gut und Böse, die Banken als Schaltzen­trale des Weltgeschehens, der Geheimbund und das uralte magische Buch. Im Video sieht man dann auch, wie ein teuflischer Rabe dieses Buch aus den Flammen der Vernichtung rettet – was bedeutet, der Kampf geht weiter. Und das, obwohl Christen, Muslime und Buddhisten nach der angeblichen Endschlacht friedlich zusammenleben würden. Dass die Juden bei dieser Aufzählung fehlen, hat wahrscheinlich nicht nur mit dem Versmaß zu tun.

Wie kann sich die Musikszene den immer lauter vorgebrachten Zensur- und Cancelansinnen entziehen? Gibt es da bei größeren Konzertveranstaltern, aber auch einschlägigen Musikzeitschriften ein kritisches Bewusstsein, wird da Kritik an Israel von Antisemitismus unterschieden?

Ich habe den Eindruck, dass in der offiziellen Kulturszene, also jenem Kulturestablishment, das eng mit dem Kulturstaatsministerium verbandelt ist, kein Bewusstsein besteht, dass der Antisemitismusvorwurf instrumentalisiert wird. Dort herrscht die Angst vor, etwas Falsches zu sagen, und man beugt sich willig der Antisemitismusdefinition, die vom Bundestag beschlossen wurde. Ich denke, man setzt sich in diesen Kreisen auch nicht wirklich mit diesem Thema auseinander, weil man sich ja dann auch mit dem eigenen Rassismus beschäftigen müsste.

Darüber hinaus ist es der offiziellen Politik sehr gut gelungen, die sogenannten progressiven und linksliberalen Schichten einzubinden, indem man die imperialistische Geopolitik des Westens als Kampf für die fortschrittliche Demokratie, für Menschenrechte, für den Feminismus und LGBTQ-Rechte verkauft. Diese Propaganda verfängt. Das sieht man am Ukraine-Krieg und der dazugehörigen Mobilisierung für die Kriegsziele des Westens gegen die »vergewaltigenden Russen«, das sieht man an der beständigen Propaganda für Militarisierung und Aufrüstung, wo es ja auch immer nur darum geht, »unsere Demokratie« zu verteidigen. Das sieht man auch an der Berichterstattung über Israels Krieg gegen die Palästinenser, die nie ohne eine Erwähnung des ­Hamas-Massakers vom 7. Oktober auskommt. Was vor dem 7. Oktober stattfand, hat keine Relevanz, und was Israel heute macht, soll lediglich eine Reaktion auf die Massenvergewaltigungen der Hamas und die barbarische Köpfung von 40 jüdischen Babys sein. Ob diese Ereignisse stattgefunden haben oder nicht, ist dabei vollkommen irrelevant. So funktioniert Propaganda, und diese Propaganda funktioniert.

Marcus Staiger ist Publi­zist, Aktivist und Autor. 1998 gründete er das Raplabel Royal Bunker, mit dem er nachhaltig die deutsche HipHop-Szene beeinflusste. 2008 übernahm er für drei Jahre die Chefredaktion der Internetplattform rap.de. Seit 2011 arbeitet Staiger als Industriekletterer und Publizist

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