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Aus: Ausgabe vom 28.04.2025, Seite 4 / Inland
Polizeigewalt

Viele Fragen, viel Wut

Niedersachsen: Rund 10.000 Teilnehmer bei Demonstration für den von der Polizei getöteten Lorenz A.
Von Kristian Stemmler
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»Gerechtigkeit für Lorenz« forderten am Freitag viele tausend Demonstranten in Oldenburg

Auf selbstgebastelten Schildern standen Aufschriften wie »Polizeigewalt tötet!«, »Gerechtigkeit für Lorenz« oder »So viele Fragen, so viel Wut«, aber auch »Wenn der Staat mordet – wer klagt ihn dann an?« Dazu schallten Parolen wie »Deutsche Polizisten: Mörder und Faschisten!«, »Die ganze Welt hasst die Polizei!«, und »Bullen, Schweine, Lügner, Mörder!« durch die Oldenburger Innenstadt. Viele tausend Menschen demonstrierten dort am Freitag abend im Gedenken an Lorenz A. Der 21jährige Afrodeutsche war in der Nacht zum Ostersonntag von einem Polizisten mit vier Kugeln hinterrücks angeschossen worden und wenig später in einer Klinik gestorben. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl der Demo auf bis zu 10.000, deutlich mehr als erwartet, und sprach im Anschluss von einem nahezu störungsfreien Ablauf.

Zur Kundgebung hatte das Bündnis »Gerechtigkeit für Lorenz« aufgerufen, das kurz nach dessen Tod gegründet worden war. Der Sprecher des Bündnisses, Suraj Mailitafi, übte scharfe Kritik an der Polizei. »Mehrere Schüsse von hinten, das ist für uns nicht zu rechtfertigen«, erklärte er gegenüber dpa. Lorenz A. ist der neuste Name auf der Liste von Opfern rassistischer Polizeigewalt in Deutschland. So sprach auch der Bruder des 2005 von der Dessauer Polizei verbrannten Oury Jalloh in Oldenburg. Alle Redner forderten lückenlose Aufklärung. Im Fokus der Kritik stand zudem der strukturelle Rassismus bei der Polizei. Auch in vielen anderen Städten versammelten sich Menschen zu Demonstrationen und Mahnwachen im Gedenken an Lorenz A., etwa in Berlin, Hannover, Braunschweig, Düsseldorf, Bochum, Frankfurt am Main, Stuttgart, München und Wien.

Scharfe Kritik an der Polizei kam unterdessen auch von Tahir Della vom Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Gegenüber dpa erklärte er, die tödlichen Schüsse des Polizeibeamten in Oldenburg seien aus Sicht der Initiative Beleg für einen systemimmanenten Rassismus in der Polizei. »Ich frage mich tatsächlich, wie viele Leute eigentlich noch sterben müssen, dass man nicht nur von Einzelfällen spricht«, so der Aktivist. Immer noch würden nach solchen tödlichen Polizeieinsätzen von Medien und der Polizei nach Rechtfertigungen gesucht. Damit würden »die Opfer von Polizeigewalt zu Tätern stigmatisiert«, so Della. So wurde etwa, kurz nachdem Lorenz A. erschossen wurde, die Falschmeldung verbreitet, er hätte die Polizeibeamten mit einem Messer angegriffen. Videoaufnahmen eines nahe gelegenen Ladens zeigen, dass dies nicht so war. Aufnahmen von den Bodycams der Polizisten, die bei dem Einsatz in der Oldenburger Innenstadt vor Ort waren, gibt es nicht. Sie waren ausgeschaltet.

Daran gibt es Kritik, selbst aus polizeinahen Kreisen. So bezeichnete Rafael Behr, Professor an der Akademie der Polizei Hamburg, es gegenüber dem Nachrichtensender N-TV als Skandal, dass die Beamten zwar Bodycams trugen, diese aber nicht eingeschaltet hatten. Aufnahmen solcher Kameras hätten schon bei vielen Einsätzen Aufklärung bringen können. Es sei »tatsächlich skandalös«, dass das Einschalten der Bodycams »immer noch nicht angeordnet wird«, so Behr. Auch der Anwalt der Mutter von Lorenz A., Thomas Feltes, kritisierte, dass die Bodycams nicht eingeschaltet waren.

Die Polizei hatte erklärt, dass das Mobiltelefon des Todesschützen geprüft und auch der polizeiliche Funkverkehr aus der Nacht ausgewertet werde. Aufnahmen der Bodycams der Polizisten stünden aber nicht zur Verfügung. Der 27 Jahre alte Schütze wurde vorläufig suspendiert. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg führt – wie in solchen Fällen üblich – gegen den Beamten ein Verfahren wegen Totschlags.

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