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Aus: Ausgabe vom 28.04.2025, Seite 5 / Inland
Mietwohnungsmarkt

Desaströse Baupolitik

Berlin: Hunderttausende Wohnungen aus Sozialbindung gefallen. Neubau stockt – keine Trendwende in Sicht
Von Oliver Rast
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Ein Kran, drei Arbeiter: Sieht so eine florierende Bauwirtschaft aus? (Berlin, 14.1.2025)

Die Bilanz ist desaströs: Zu Beginn der 1990er Jahre hatte Berlin rund 350.000 Sozialwohnungen. Öffentlich gefördert mit einer Mietpreis- und Belegungsbindung. Ende vergangenen Jahres war es nur noch ein Viertel, knapp 86.000 Wohneinheiten, berichtete der RBB am Sonnabend. Eine Trendwende ist nicht in Sicht; nicht einmal ein Halten des aktuellen Bestands, befürchten Wohnungsexperten.

Im Tagestakt gehen in der Bundeshauptstadt im Schnitt zwölf Sozialwohnungen verloren. Der Grund: Der Wohnraum fällt aus der sogenannten Sozialbindung. Zumeist nach 20 oder 30 Jahren. Zuvor ist der soziale Wohnungsbau mittels Steuergeld staatlich gefördert worden. Gewissermaßen als Ausgleich für die Bezuschussung verpflichten sich Eigentümer, die Wohnungen an Personen etwa mit einem Wohnberechtigungsschein (WBS) zu vermitteln. Das Problem: »Nach Ablauf der Frist entfällt die Bindung, bei vorzeitiger Rückzahlung von Fördermitteln sogar früher«, so der RBB. Das Folgeproblem: Vermieter können Mieten erhöhen, Mieter diese bisweilen nicht mehr zahlen. Kein Wunder, denn die durchschnittliche Nettokaltmiete im öffentlich geförderten Wohnungssegment in Berlin lag 2023 bei zirka sieben Euro pro Quadratmeter, die Angebotsmieten auf dem »freien« Wohnungsmarkt waren statistisch mehr als doppelt so hoch. Kurzum, das Bindungsmodell ist eine Art Investitionsförderung mit sozialer Zwischennutzung.

Besonders auffallend ist der Wegfall von Sozialwohnungen in Trabantenstädten, etwa im Märkischen Viertel in Reinickendorf oder in der Gropiusstadt in Neukölln. Vor allem in letztgenannter Hochhaussiedlung. Laut RBB war dort 2010 noch jede dritte Wohnung sozialgebunden, jetzt sind es vier Prozent. Ein Gegenbeispiel ist Hellersdorf, wo mehr als 1.100 Sozialwohnungen hinzugekommen seien, weiß der Sender.

Bloß, wer ist für das Desaster im hiesigen Wohnungsbau verantwortlich? Zunächst: In den Neunziger- und Nullerjahren hat beispielsweise der »rot-rote« Senat Zehntausende Sozialwohnungen und Bleiben aus landeseigenen Wohnungsbeständen verhökert, städtisches Tafelsilber verkloppt. »Die meisten sind nun in der Hand der Big Five«, wurde Matthias Berndt, Vizedirektor des Leibniz-Instituts für raumbezogene Sozialforschung, im RBB-Beitrag zitiert. Der Wohnraum ist also im Bestand von Vonovia, Heimstaden & Co.; jenen privaten Immobilienriesen, die fleißig an der Mietpreisspirale drehen.

Zurück in die Gegenwart. Das wohnungsbaupolitische Ziel des CDU-SPD-Senats steht im Koalitionsvertrag: 20.000 neue Wohneinheiten. Jährlich. Wenig überraschend, davon ist Bausenator Christian Gaebler (SPD) weit entfernt. »Ich glaube, wir können schon irgendwo bei 15.000 landen«, sagte der Ressortchef am Sonnabend gegenüber dpa. Wohlgemerkt, nach 17.300 und 16.000 Neubauwohnungen in den Jahren davor. Prognosen seien indes schwer, so der Senator, das Ergebnis hinge von verschiedenen Faktoren ab. Beispielsweise sei offen, ob einige größere Projekte noch in diesem Jahr fertig würden. Gaebler dürfte dabei Bauruinen der Bankrotteure und Pleitiers vom Schlage eines Nikolaus Ziegert oder Christoph Gröner meinen. Dennoch, betont der Sozialdemokrat, in den vergangenen drei Jahren seien fast 50.000 Wohnungen schlüsselfertig übergeben worden. »Das bedeutet für 100.000 Menschen ein neues Zuhause.«

Schönfärberei, wenden Kritiker ein. Denn ein weiterer Indikator für die miese Wohnungslage ist der Einbruch der Baugenehmigungen. Die Zahl genehmigter Wohnungsvorhaben sank im Vorjahr in Berlin nach Angaben des Statistikamts von 15.900 auf 9.800 Wohnungen – ein Rückgang um knapp 40 Prozent. Oder: Kein Aufbau, Abbau.

Und überhaupt, was ist mit bezahlbarem Wohnraum? Die Senatsverwaltung Gaeblers will jährlich den Bau von 5.000 Sozialwohnungen öffentlich fördern – und damit den Bestand sichern. Nur dürfte das kaum reichen. Bis 2034 werden laut Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin (IBB) weitere 46.000 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Mindestens.

Bemerkenswert ist ferner: Das Land Berlin fördert erst seit 2014 wieder verstärkt den sozialen Wohnungsbau. Nach IBB-Daten sind seitdem knapp 14.000 neue Sozialwohnungen entstanden. Das Gros davon in den zurückliegenden ein, zwei Jahren. Viel zu spät, viel zu wenige. Deshalb bleibt unterm Strich: Berlins Wohnungsbaubilanz ist verheerend.

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