Einen Sommer noch
Von Maximilian Schäffer
Neben den handelsüblichen Superheldenknallern und Starbiographien produziert das Kino der Jetztzeit ab und zu sogar neue Genres. Der Demenz- und Sterbefilm ist nicht nur in Europa äußerst beliebt, aber die herrschende geistige, körperliche und moralische Totalvergreisung treibt ihn vor allem dort zur Blüte. Ein weiterer Vertreter dieser neuen Gattung kommt aus Schweden und trägt den heiteren Titel »Eine letzte Reise«.
Tatsächlich ist der Film, man vermutet es während der gesamten 90 Minuten kaum, dokumentarisch angelegt. Die Regisseure Fredrik Wikingsson und Filip Hammar begleiten Lars Hammar, Filips Vater, in seinem Dasein als werdender Methusalem. Der ehemalige Französischlehrer am Gymnasium von Köping in Südschweden befindet sich Jahre nach seiner Pensionierung in tiefer Depression. Deswegen plant der Sohn eine Reise an die Côte d’Azur, nach Beaulieu-sur-Mer, dem früheren Lieblingsurlaubsort der Familie. Ein orangefarbener Renault 4 wird besorgt, ähnlich wie der, mit dem die schwedische Familie einst quer durch die Landkarte gurkte. Die Ferienwohnung. Der Strand. Die Freunde. Alles soll für Lars noch einmal so sein, wie es in fröhlicheren Tagen war.
Wo die Inszenierung beginnt und wo reale Begebenheit, ist von Anfang an verwischt. Heiter wird der Vater vorgestellt, ein Superlehrer, den alle lieben. Den Sohn und seinen Kollegen kennen und lieben schwedische Zuschauer aus dem Fernsehen, Hammar und Wikingsson sind so ungefähr die skandinavische Entsprechung von Joko und Klaas. Ein flotter Erzählrhythmus gestaltet das kleine Abenteuer auch für Außenstehende halbwegs nachvollziehbar und unterhaltsam. Schnell aber macht der Vater schlapp, fällt nachts auf den Boden, zieht sich eine Fraktur zu. Im Krankenhaus verfällt er wieder in ein Selbstmitleid, das ihn gleich noch einmal zehn Jahre altern zu lassen scheint. Filip aber gibt nicht auf: Er will seinen Papa ein weiteres Mal zurück ins Leben holen.
Also geht es mühsam Richtung Süden, und auf dem Weg lernen die Zuschauer den Frankreich-Fetisch des Protagonisten näher kennen. Lars liebt natürlich Chansons und feuriges Temperament und flache Kalauer. Seine Witze ohne Pointe verbindet der Sohn sicher mit nostalgischen Gefühlen – Trotz- und Ekelphase sind längst vorbei. Die schwedische Mittelschicht malt sich noch einmal nach Zahlen ihr mediterranes Paradies aus, in denselben Farben wie vor vierzig Jahren. Und tatsächlich ist noch einmal alles irgendwie so, wie es vielleicht einmal gewesen war.
Dass dem dann doch nicht ganz so ist, muss der Sohn herausfinden, als die Gebrechen des 80jährigen immer offensichtlicher werden. Wer keine gelben Rüben mehr schneiden kann, der hat den Zenit überschritten, dessen Fleisch wird in nicht allzu ferner Zukunft unvermeidlich Suppengrün. Zweifellos ist das so traurig wie trivial, und an dieser Stelle erzählt der Film, was ein Film niemandem erzählen muss. Warum Zuschauer das sehen und hören wollen könnten? Es kommt die Leier vom besonderen Menschen im kleinen Dasein. Schüler erinnern sich an ihren herausragenden Lehrer, dessen Lebenswerk nicht umsonst war. Ein jeder wirkt. Ein Film wie »Das Wort zum Sonntag«.
»Eine letzte Reise«, Regie: Filip Hammar und Fredrik Wikingsson, Schweden 2024, 95 Min., bereits angelaufen
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