»Eine neue Qualität«
Von Interview: Sebastian Carlens
Es geht um die »Zeitenwende«. Stichwort: Doppelwumms. Zunächst hieß es, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollten gemäß dem NATO-Ziel für Rüstung ausgegeben werden. Mittlerweile redet Robert Habeck von 3,5 Prozent, und Donald Trump fordert sogar fünf Prozent. Man kann sich vorstellen, was das bedeutet. Das wird woanders eingespart: bei Kindergärten, Schulen, Infrastruktur, bei der Pflege. Dieses Land wird nicht mehr dasselbe sein, wenn diese Rüstungsziele umgesetzt werden. Und schon gar nicht, wenn all diese Waffen auch zum Einsatz kommen. Deshalb ist es um so wichtiger, gegen Krieg und Aufrüstung auf die Straße zu gehen. Am 15. Februar findet in München die alljährliche sogenannte Sicherheitskonferenz statt, die traditionell von Protesten begleitet wird. Was ist in diesem Jahr geplant?
Heinz Michael Vilsmeier: Die Herrschenden dieser Welt treffen sich wie jedes Jahr im Hotel Bayerischer Hof, und es wird wie jedes Jahr eine Umzingelung des Tagungsorts geben. Dann gibt es eine große Demonstration und eine Menschenkette durch die Fußgängerzone sowie diverse Aktionen vor und nach der eigentlichen Tagung der »Sicherheitskonferenz«.
Wie schätzt ihr denn die Lage ein? Gibt es eine neue Qualität angesichts der Aufrüstung und der eskalierenden Kriege?
Vilsmeier: Man kann ganz bestimmt von einer neuen Qualität sprechen. Die Münchner Sicherheitskonferenz gibt ja gewissermaßen eine Antwort auf die Frage, die die diesjährige Rosa-Luxemburg-Konferenz zum Motto hat: Wie gefährlich ist der Imperialismus im Niedergang. Die Herrschenden geben darauf eine Antwort, und die lautet: Aufrüstung und Militarisierung. Wir haben Debatten über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die Bundeswehr soll endlich Zugriff auf die Schulen bekommen, in Bayern sogar verpflichtend. Das ist eine richtige Offensive, der wir da gegenüberstehen. Die Herrschenden greifen an, und wir müssen darauf eine Antwort geben. Unsere Aktionen gegen die Sicherheitskonferenz, die ja eine Unsicherheitskonferenz ist, sind der Versuch einer solchen Antwort. Damit klar wird: Dieser Kurs, der ins Verderben führt, wird nicht von allen mitgetragen. Es gibt genug Menschen, die nein sagen.
Eine solche Absage formuliert auch das Münchner Bündnis »Soziales rauf – Rüstung runter«, ein Zusammenschluss von Gewerkschaften, Friedensbewegung und linken Gruppen. Das Bündnis ist ein Versuch, soziale Kämpfe und den Friedenskampf zu vereinen. Wie stehen da die Chancen?
Franz Haslbeck: Was wir erleben, ist eine neoliberale Austeritätspolitik, eine Sparpolitik. Die Reichen haben sich bereits aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gestohlen. Wir haben in Deutschland definitiv ein Einnahmenproblem und kein Ausgabenproblem, wie es immer behauptet wird. Deshalb auch unser Motto: Soziales rauf, Rüstung runter. Es wird alles ins Militär gesteckt. Wenn man bei den Zahlen bleibt: Ungefähr jedes Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht circa zehn Prozent des Bundeshaushalts, das heißt, zwei Prozent BIP sind 20 Prozent des Bundeshaushalts. Wenn wir Trumps fünf Prozent ernst nehmen, sind wir schon bei etwa 50 Prozent des Bundeshaushalts. Da bleibt nichts mehr übrig. Da wird uns alles unterm Hintern weggespart. Auch 3,5 Prozent wären gigantisch. Das ist eine Militarisierung, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gekannt haben. Und das Geld fehlt überall: in der Bildung, in der Gesundheit, im Sozialen, im öffentlichen Dienst, man denke nur an die Tarifverhandlungen. Und man sieht ja jetzt schon die Folgen der neoliberalen Sparpolitik: die Infrastrukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge befinden sich längst nicht mehr in den Händen des Gemeinwesens, sondern wurden betrügerisch veruntreut, privatisiert, und das, was noch in Händen des Staates ist, ob das Brücken sind, Schulen oder das Gesundheitswesen, wird kaputtgespart.
Welche Pläne verfolgt ihr mit dem Bündnis? Was können wir das Jahr über erwarten?
Haslbeck: Das Bündnis hat sich zunächst formiert, um eine Demonstration durchzuführen. Die war am 12. Oktober in München. Denn es ist ja erst einmal ein lokales Bündnis, bestehend aus der GEW München, dem Friedensbündnis und vielen anderen Unterstützern. Unser Ziel ist, diese Initiative bundesweit bekannt zu machen, so dass sich auch woanders solche Bündnisse bilden. Und natürlich geht es uns auch darum, die friedenspolitische Ausrichtung der Gewerkschaften zu stärken.
Für einen breiten, verschiedene Spektren einbeziehenden Ansatz steht auch der Berliner Appell. Worum geht es da?
Jutta Kausch: Am 10. Juli des vergangenen Jahres haben Olaf Scholz und Joe Biden während des NATO-Gipfels in Washington verkündet, dass sie die Stationierung von US-Tomahawk-Marschflugkörpern ab 2026 in Deutschland verabredet haben. Das Ganze wurde ohne jede vorhergehende öffentliche Diskussion einfach so bekanntgegeben. Es sind vorher weder das Parlament noch die Bevölkerung darüber in Kenntnis gesetzt worden. Es wurde dann anschließend doch im Bundestag debattiert, und die Argumentation läuft darauf hinaus, dass Europa eine »Fähigkeitslücke« habe und die Russen abschrecken müsse, die in der Ukraine Krieg führen. Die Pläne für die Stationierung der Mittelstreckenwaffen sind aber schon seit 2021 in der Schublade. Diese neuen Mittelstreckenwaffen sind gefährlicher als diejenigen, die in den 1980er Jahren aufgestellt worden sind. Und sie zielen weit über Kaliningrad hinaus, von wo aus Russland uns angeblich mit »Iskander«-Raketen bedroht. Sie können Ziele treffen, die weit im russischen Hinterland liegen, etwa die Frühwarnsysteme für Atomraketen. Zu den Waffen, die die USA stationieren wollen, zählt vermutlich auch die Hyperschallrakete »Dark Eagle«, die nicht abgefangen werden kann und mit der innerhalb von zehn Minuten jedes Ziel in Moskau angreifbar wäre. Um gegen die Stationierung dieser Waffen auf deutschem Boden zu protestieren, haben wir den Berliner Appell ins Leben gerufen und am 3. Oktober anlässlich der großen Friedenskundgebung in Berlin veröffentlicht. Es gibt einige prominente Erstunterzeichner, und jetzt gilt es, den Appell zu verbreiten. Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen. Zudem ist eine bundesweite Demonstration in Wiesbaden, wo sich die US-Kommandozentrale für diese Raketen befindet, geplant.
Demonstration gegen die NATO-Sicherheitskonferenz, 15. Februar 2025, 13 Uhr, Stachus, München
Mehr Informationen unter: www.antisiko.de
23. Internationale Münchner Friedenskonferenz, 14.–16. Februar 2025, München.
Mehr Informationen unter: www.friedenskonferenz.info
Der Berliner Appell ist zu finden unter: www.nie-wieder-krieg.org
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