Weltweite Wohnkrise
Von Marc Bebenroth
In Erwägung, dass da Häuser stehen
Während ihr uns ohne Bleibe laßt
Haben wir beschlossen, jetzt dort einzuziehen
Weil es uns in unsern Löchern nicht mehr paßt.
In Erwägung, daß ihr uns dann eben
Mit Gewehren und Kanonen droht
Haben wir beschlossen: nunmehr schlechtes Leben
Mehr zu fürchten als den Tod.
Bertolt Brecht, »Resolution der Kommunarden« (1934)
Die Politik machen andere. Aber ohne linke Wortführer im Bundestag würde vermutlich niemand mehr dort die Stimme für diejenigen erheben, die auf der Straße überleben oder einen Großteil ihres Einkommens an ihren Vermieter abdrücken müssen. Zahlreiche Privathaushalte geben inzwischen mehr als ein Drittel für Wohnkosten aus, teils sogar mehr als die Hälfte. Das geht aus einer Berechnung zur Wohnungsarmut in Deutschland hervor, deren Ergebnis der Paritätische Gesamtverband am 13. Dezember 2024 veröffentlichte. Erstmals sei das tatsächlich verfügbare Einkommen abzüglich Warmmiete und Stromkosten berücksichtigt worden. Diese Wohnarmut betreffe 17,5 Millionen Menschen in der BRD; 5,4 Millionen mehr »als nach konventioneller Berechnung«, teilte der Paritätische mit.
Das Recht auf Wohnen hat weder Verfassungsrang, noch besteht es faktisch. So braucht es auch in der Bundesrepublik nicht viel, um plötzlich ohne Obdach zu sein. Im Gespräch mit junge Welt schildert ein Betroffener aus Berlin, wie eine Erkrankung ausreichte, um aus dem sozialen Umfeld gerissen zu werden. Das Leben auf engstem Raum in einem Wohnheim mit teils schwer suchtkranken Menschen und die bürokratischen Hürden verschlimmerten seinen Gesundheitszustand. Auf behördliche Anordnung können Wohnungen zur Unterbringung von Obdachlosen beschlagnahmt werden – aber nur auf Zeit.
Oft sind es private Initiativen, die diesen Menschen auch soziale Schutz- und Rückzugsräume bieten. Einen solchen Verein hat jW-Redakteurin Annuschka Eckhardt in Berlin-Reinickendorf besucht. Die Ehrenamtlichen müssen immer häufiger auch Pflegearbeiten leisten, berichtet der Vereinsvorsitzende. Der Fall eines Mannes verdeutlicht, dass das Gesundheitssystem nicht darauf ausgelegt ist, dringend hilfebedürftige Menschen angemessen zu versorgen.
Das gilt nicht zuletzt auch für Geflüchtete. Chauvinistische Parteien machen im Bundestagswahlkampf Stimmung gegen diese Minderheit, die angeblich Einheimischen enorme Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt macht. Yaro Allisat hat sich die Zahlen für die Stadt Leipzig angesehen und mit dem sächsischen Flüchtlingsrat gesprochen. Demnach bevorzugen Behörden Geflüchtete bei der Wohnungsvergabe keinesfalls. Tatsächlich müssen diese Menschen zusätzliche Hürden überwinden, um auf dem kapitalistischen Wohnungsmarkt eine Bleibe zu finden. Wo Menschen für die Unterbringung von Geflüchteten weichen müssen, stecken nicht selten lukrative Geschäfte mit der öffentlichen Hand dahinter.
Wohin man blickt: Die Ware Wohnraum wird künstlich knapp gehalten, die Krise verschärft sich. Christian Selz berichtet über die Entwicklung im südafrikanischen Kapstadt, wo Menschen nicht mehr vor allem aufgrund rassistischer Politik, sondern ihrer Klassenzugehörigkeit aus den Innenstädten vertrieben werden. Alex Favalli nimmt die verheerenden Feuerwalzen in und um Los Angeles zum Anlass, die Wohnungskrise der lohnabhängigen Massen in den USA zu beleuchten.
Im Vereinigten Königreich schießen die Mieten und die Preise für Wohneigentum durch die Decke, und die Labour-Regierung des Neoliberalen Keir Starmer hat ihre Versprechen zum Neubau nicht eingehalten, wie Dieter Reinisch berichtet. Carmela Negrete schreibt über große Wohnungsunternehmen in Spanien, die für Zwangsräumungen auf faschistische Schlägertrupps zurückgreifen, um säumige Mieter zu terrorisieren. Ob dort oder hier: Bis das Joch kapitalistischen Wohneigentums abgeschüttelt ist, bleibt das Recht auf Wohnen ein theoretisches.
Marc Bebenroth ist Redakteur der Tageszeitung junge Welt im Ressort Innenpolitik.
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