Neues aus dem Kapitalozän
Bereits der erste Blick auf »MRX Maschine« macht neugierig. Im Klappentext wird die Autorin vorgestellt: Luise Meier, »geboren 1985 in Ostberlin«, »arbeitet als freie Autorin und Servicekraft«. Nicht allzu häufig kommt es vor, dass in den achtziger Jahren Geborene die Herkunft aus dem untergegangenen Staat DDR hervorheben. Das lässt vielleicht schon auf das historische Bewusstsein schließen, das sie in ihrem Buch dann unter Beweis stellt. Die eigene Tätigkeitsbeschreibung wiederum verdeutlicht, dass Meier nicht nur klarsichtige Beobachterin der Arbeitswelt ist, sondern sich auch über den eigenen Platz im real existierenden Neoliberalismus sehr wohl im klaren ist.
In ihrem als Manifest bezeichneten Text begibt sich Meier, erfreulich genug, auf die Spur des Proletariats. Will sich kaum jemand noch der Arbeiterklasse zurechnen, gelingt ihr ein interessanter Vorstoß: Ist nicht in Zeiten ständiger Selbstoptimierung, der steten Arbeit an sich selbst, das Proletariat Teil eines jeden von uns, ja in uns? Um zu überleben, steckt in jedem von uns ein Unternehmer; Meier sucht den inneren Proletarier.
Die Autorin beschreibt treffend unsere Lebenswirklichkeit, die sie mit Donna Haraway Kapitalozän nennt: der Versuch, die entscheidenden politischen Fragen scheinbar in die Verantwortung der Konsumenten zu übergeben, die fast unbemerkte Ersetzung der Stechuhr durch das I-Phone und der Ausschluss der »anderen«, der Opfer von Sexismus, Rassismus und Kolonialismus. Wo die Arbeit sich verändert hat, muss auch der Arbeitskampf anders aussehen. Streik bleibt ein probates Mittel, muss aber nach Meier neue Formen finden: die individuelle Arbeitsverweigerung, Sabotage, Verschwendung von Lebenszeit und das Einstellen der Arbeit an sich selbst. Ist das ein Rückzug? Vielleicht. »Nur ist es nicht unbedingt schlecht, in der Mitte eines tobenden Weltkriegs die Position der Kapitulation einzunehmen.«
So wie der Marx im Titel des Buches auf das »a« verzichten muss, so beansprucht Meier mit ihrer Marx-Ex egese in keinem Fall Vollständigkeit. Eine reine Lehre gibt es bei ihr ohnehin nicht. Sie erweitert, sie verknüpft und sie verkürzt, wo es ihr notwendig erscheint. Die Reaktivierung von Marxens Philosophie ist für sie nicht ohne feministische, queere und postkoloniale Theorie zu machen. Dass sie bei alldem aber nie den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen aus den Augen verliert, muss man ihr zugute halten. Sie versteht den Einsatz für die Ausgestoßenen als Rehabilitation des »Lumpenproletariats«. Nicht zuletzt diesem gilt Meiers Solidarität.
Ihre Energie und ihre Lust am Denken sind dem Text anzumerken. Von Adorno springt die Autorin zu Gil Scott-Heron, von Rosa Luxemburg zu Klaus Theweleit, von Walter Benjamin zu Ingeborg Bachmann. Die vielfältigen Referenzpunkte sind dabei kein Zeichen von intellektueller Eitelkeit, sondern Ausdruck von Kenntnisreichtum. Stakkatohaft liefert sie bedenkenswerte Thesen. Im besten Fall gelingen ihr dabei kluge, scharfe Sätze von aphoristischer Klarheit. Etwa wenn sie über den Zwang zur Selbstoptimierung bemerkt: »Wenn das Unternehmertum einen bis ins Schlafzimmer verfolgt, ist es sinnvoll, die Instrumente des Klassenkampfs nicht im Spind oder im Gewerkschaftshaus liegenzulassen«, oder wenn sie über Geschlechtergerechtigkeit ohne Berücksichtigung sozialer Realitäten formuliert: »Inwiefern kann die prekär beschäftigte Putzfrau mit prekärem Aufenthaltsstatus aber dasselbe meinen wie ihre Arbeitgeberin, wenn es heißt: ›Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‹?« Mitunter sind es allerdings gerade solche Aussagen, die nur unzureichend kontextualisiert sind. Wo aber Luise Meier keine hinlängliche Herleitung liefert, vielleicht nicht liefern will, da bietet sie zumindest reichlich Diskussionsstoff und eine anregende Lektüre.