Karibische Hölle
Von Georg HoppeInspektor Azémar gleicht mehr einem Obdachlosen denn einem Polizisten. Zerlumpte Kleidung hängt an seinem Leib, der ausgezehrt ist durch die Hitze von Port-au-Prince, durch den Schnaps, durch das Elend Haitis. Seine Kollegen trauen sich nicht, in seiner Gegenwart zu rauchen. Sie fürchten, sein vom Zuckerrohrschnaps getränktes Blut könnte sich entzünden. Was Azémar vor ihnen auszeichnet: Er ist der einzige haitianische Polizist, der sich nicht kaufen lässt. Und der an eine Zukunft glauben will.
In »Soro« verliert er nun scheinbar auch das. Er hat seinen Vorgesetzten, seinen einzigen Verbündeten, mit dessen Frau betrogen. Die ist tot – erschlagen von den Trümmern des Stundenhotels, das durch ein Erdbeben zerstört wurde. Ihr Körper rettete Azémar, der unter ihr lag, das Leben. Er kann sich an nichts erinnern. Dieser verdammte Soro, dieser verdammte Zuckerrohrschnaps! Wie konnte es nur dazu kommen? Hatte sie ihn nicht vor etwas warnen wollen, das ihren Mann betraf? Und was hat es mit der Story einer Freundin auf sich, die nachts von ihrem Liebhaber besucht wurde, obwohl der eigentlich tot sein müsste?
Inspektor Azémar geht durch die Hölle des zerstörten Port-au-Prince. Seine Blicke streifen die aufgestapelten Leichen, die Armut, die Verzweiflung. Er schwankt unter dem Gestank der Verwesung, der stündlich zunimmt. Er will sterben angesichts der Schande, die er bereitet hat. Doch so wie die Einwohner seiner Stadt macht er weiter. Am Leben hält ihn der Zuckerrohrschnaps. Und das Festhalten an einem letzten Fünkchen Moral.
Durch den Inspektor erfährt man auf eine sehr körperliche Art den Druck, der auf Haiti lastet: Korruption, Armut und politische Einflussnahme. Nichtregierungsorganisationen und Hilfstruppen versuchen, selbst Katastrophen wie das Erdbeben für ihren Profit auszunutzen.
»Armut und Leid waren das Gold Haitis, das die Reichen des Landes auf den öffentlichen Plätzen der großen Hauptstädte der westlichen Welt trefflich zu vermarkten verstanden.« So denkt Azémar, als er sich auf den Weg zu seinem Haus macht. Und schwört, sollte seine Tochter bei dem Erdbeben umgekommen sein, er kaufe sich eine Bazooka und mache »ihre Luxusautos, ihre Villen und ihre Paläste platt«.
Die Verrohung der Bevölkerung – Azémar inklusive – des einzigen Landes, das aus einem geglückten Sklavenaufstand hervorging, ist erschreckend. Weitverbreiteter Aberglaube, ausgenutzt für politische Repression, ebenso.
Der Autor Gary Victor ist in seiner Heimat ein berühmter Mann. Seine Rundfunk- und Fernsehbeiträge lösen Kontroversen aus. Seine Romane und Erzählungen sind auf Haiti Bestseller. Einem deutschsprachigen Publikum wurde er 2013 durch »Schweinezeiten« bekannt. Auch in diesem »Voodoo-Krimi« ermittelte Inspektor Azémar.
Gary Victor: Soro. Ein Voodoo-Krimi. Litradukt Verlag, Trier 2015, 144 Seiten, 11,90 Euro
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