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Aus: Ausgabe vom 19.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Rock

Schläfrige Schläferzelle

Mehr als nichts: While She Sleeps’ neues Album »Self Hell«
Von Ken Merten
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Sie nennen es Britmosh: While She Sleeps

Nennt man sie auch die Robin Hoods des Metalcores? Nein. Schließlich war der Schritt, den While She Sleeps in die Unabhängigkeit taten, erst mal einer für sich selbst. Das 2017er Album »Your Are We« (Arising Empire) wurde schon per Crowdfunding kofinanziert, aber mit Gründung der »Sleep Society« machte das Quintett aus dem englischen Sheffield einen großen Schritt weg davon, von Miniaturmikrobeträgen des so nützlichen wie halsabschneiderischen Monopols Spotify zu leben. Statt dessen wurde eine große Angebotspalette für die Fans hochgefahren, spezielle Serviceleistungen konnte man erwerben. Das ermöglichte eine weitgehende Unabhängigkeit auch von Major-Labels. Nachdem das Pony aus dem Stall des Hardcores und Punks namens »Do it Yourself« bis Ende der 90er weniger totgeritten, sondern von der Konkurrenz zerquetscht worden ist, kehrt es als Startup zurück und trägt den entsprechenden Namen als Schläferzelle, die nicht vorhat aufzuwachen.

Romantische Gefühle: Man mag es While She Sleeps nicht ganz krumm nehmen, steckt dahinter doch das aufrechte Begehr, sich von der Kulturindustrie zu entkoppeln. Schließlich hat man einen Ruf, der selbst über die Welt trägt. Sich aber auf sich zurückzuwerfen, statt als korrekteren Verrat am System die Assoziation zu suchen und für grundsätzlichen Wandel einzustehen, das bedeutet: »Self Hell«. So heißt eben auch das jüngste, sechste Album der Band. Die kommt aus dem Metalcore, Sänger Lawrence Taylor hat mittlerweile den Genrenamen »Britmosh« für das unterbreitet, was man da tut.

Auch da kann man nicht völlig widersprechen: While She Sleeps tun mehr, als die eh schon bastardisierte Sparte Metalcore vorgibt. Manches geht durch bewusstes Overstatement hinaus, wenn der Group Shout und die manifeste Zweitstimme von Gitarrist Matt Welsh so omnipräsent sind, dass man längst nicht mehr heraushört, ob es da noch einen Leadsinger gibt. Glaubt sich Taylor im Interview zum Covershooting mit dem Musikmagazin Kerrang! scherzhaft als Weltmeister darin, Kehlkopf-OPs erfahren zu haben – »This world is ­roked« ist auf seinem Hals tätowiert, eine Botschaft nach innen, nicht nach außen –, dann vermittelt der Hang zum Chor durchaus Solidarisch-Klassenbewusstes. Man hakt sich stimmlich ein.

Mit ihrer Herkunft aus dem Proletariat geht die Band offensiv um; Leute, die im heruntergekommenen Schuppen von Taylors Großeltern probten. Für ihre Räume hat die Kapelle grundsätzlich sehr viel übrig: Davon abgesehen, dass »Four Walls« einer der Brummer ihres 2015er »Brainwashed« war, fand sich 2012 auf »This is the Six« mit »Seven Hills« eine Hymne auf den alten Proberaum, dazu das dort gedrehte Musik­video. »I know, there’s people in the places I’ve been / Who I know, I’ll never find again.«

In ihrem neuen, nicht minder ranzigen Proberaum organisiert die Band nun ihre eigene Karriere, 40 Stunden die Woche, ohne großes Label. Die Unabhängigkeit mag man bei »Self Hell« heraushören. Oder auch nicht: Das längst überfällige Verbot von zum Erbrechen genutzten Gandhi-O-Tönen als Samples sprächen die Herrscher des Marktes als schwache Könige ja auch nicht aus.

While She Sleeps sind wieder in der Normalität angekommen, aus der sie nie ausgebrochen sind. »Self Hell« greift mit HipHop-Anleihen und Techno-Spielereien stilistisch sicher weiter um sich, als man von der kommenden Katastrophe eines neuen Albums von As I Lay Dying erwarten kann und man von festgefahrenen Killswitch Engage bekommt, aber die eben allzumarktförmige Verbissenheit in einfallslosen Innovationszwang lässt sich nicht weghören. So sehr »To the Flowers« vertont, wie es eben ist eben zu vertonen, also zu verklingen, abzugehen, zu sterben, fragt man sich dann doch bei »Radical ­Hatred/Radial Love«, wer den Knabenchor da vor die Haustür bestellt hat. Hört man das, verfällt man in jene Haltung, die man tunlichst vermeiden soll, und wird verdrossen, weil eben auch die Unabhängigen nur derlei Murks parat haben. Dafür aber sind sie ja nicht da. Niemand sagt, dass Gegenkultur schöner ist, nur weil sie als diese firmiert. Schließlich hat sich die Kulturindustrie selbst jenes Label gepachtet, sonst wäre sie ja keine.

Apropos Grenzen: Gleichzeitig veröffentlichte Boundaries aus den USA ihr Album »Death is Little More« (3DOT Recordings). Deren Hypostasis gelingt dadurch, dass sie das summieren, was der Metalcore abgelegt haben mag und sich nur noch bei Bands findet wie den Edelbeatdownern Kublai Khan (Sänger Matt Honeycutt hat einen entsprechenden Gastauftritt) und Gideon in deren christlich-erzmetalcoristischen Frühphase, also Kram, den Parkway ­Drive mal machten, ehe sie zur Stadionband umschulten. Zeug aus der goldenen Ära mit dem frühen Höhepunkt 2004/2005 (Killswitch Engage: »The End of Heart­ache«; Underoath: »They’re Only ­Chasing Safety«; Parkway Drice: »­Killing With a Smile«; As I Lay ­Dying: »Shadows Are Security«; August Burns Red: »Thrill Seeker«). Wenn es für den Tod etwas mehr braucht, fragt man sich, warum man so eilfertig begrub, was noch so viel – den vermittelten Dauer­auf- wie abbruch (Breakdowns) und die permanenten Ungleichzeitigkeiten (Tempowechsel, wie das Tauschen von Clean- und Gutturalgesang) – für die Welt, in der wir leben, offenhielt?

Die neuen Alben von While She Sleeps und Boundaries: Hat man beide gehört, hat man einen Überblick über den Materialstand des Metalcore. Mehr als nichts.

While She Sleeps: »Self Hell, Sleeps Brothers« (Spinefarm Music Group)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin Mandl aus Paris (18. Juni 2024 um 23:29 Uhr)
    Erwähnenswert bzw. lesenswert wäre in dieser Rubrik auch ein Artikel zur kalifornischen Rockband Avenged Sevenfold, die am vergangen Wachende am Download Festival teilnahm. Ihr Stil hat sich öfters geändert. Gute Texte. https://www.youtube.com/watch?v=UjrRTY2UDjw&list=OLAK5uy_mJTK-km_TIOZUYefeL39ysZXXpyqrdGSQ&index=3 Avenged Sevenfold - The Stage https://www.youtube.com/watch?v=fBYVlFXsEME Avenged Sevenfold - Hail To The King https://www.youtube.com/watch?v=DelhLppPSxY

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