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Aus: Ausgabe vom 13.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Der Komfort kühler Gastlichkeit

Wiederentdeckung eines Ehrenhaften: Der Exilschriftsteller Joachim Maass (1901–1972)
Von Erich Hackl
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Hoch symbolisch: »Der Schnee von Nebraska« handelt vom »schicksalhaft hereinbrechenden Bösen«

Diejenigen, die ihn gekannt hatten, beschrieben ihn als umgänglich, freundlich und gesellig. Von Wehmut und sanfter Ironie seien seine Feuilletons in der Vossischen Zeitung und im Hamburger Fremdenblatt durchdrungen gewesen. Er war kein Aufrührer und auch kein Widerständler. Sein Roman »Bohème ohne Mimi« wurde 1933, nach der Machtübergabe an Hitler auf die Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums gesetzt. Trotzdem konnten während der Naziherrschaft drei Bücher von ihm erscheinen. Er hätte sich also, wie andere Autoren aus dem Kreis des Verlegers V. O. Stomps (»Rabenpresse«), ohne weiteres durch die innere Emigration winden können.

Aber Joachim Maass, der 1901 in Hamburg geboren und 1972 in New York gestorben ist, hatte Ehre und Verstand, und deshalb kehrte er Deutschland den Rücken. Im Spätherbst 1936 reiste er in die USA, um zu ergründen, ob sie sich als Zufluchtsort eigneten. Drei Jahre später wiederholte er die Reise aus »zwingenden Motiven«: »Erstens wünschte ich, das Los meiner vertriebenen jüdischen Freunde zu teilen; das war eine Frage des menschlichen Anstands. Zweitens wünschte ich, mich der spukhaften Verkommenheit und Verlogenheit zu entziehen, die das Leben und leider auch das Wesen der deutschen Nation immer giftiger durchschwärten; das war eine Sache demonstrativer Abkehr und Trennung und, zugegeben, auch eine des seelischen Selbstschutzes.«

Anfang 1937, also in der Zeit zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten, schrieb Maass die Erzählung »Der Schnee von Nebraska«, mit deren Wiederveröffentlichung nach 86 Jahren – sie war 1938 in der von Peter Suhrkamp herausgegebenen Neuen Rundschau erschienen – die Verlegerin Lisette Buchholz und der Herausgeber Andreas F. Kelletat den Schriftsteller aus dem Vergessen heben wollen. Als Vorlage diente ihm ein Mordfall, der die US-amerikanische Öffentlichkeit lange in Atem gehalten hatte – nicht nur wegen des qualvollen Todes des Entführten, eines zehnjährigen Jungen, sondern vor allem deshalb, weil die oder der Täter nie ausgeforscht werden konnten. Für die literarische Anverwandlung veränderte Maass den Schauplatz und das familiäre wie soziale Umfeld des Jungen. Er verzichtete auf einen auktorialen Erzähler; statt dessen schilderte er die symbolhafte Geschichte vom »schicksalhaft hereinbrechenden Bösen« (Kelletat) aus drei Blickwinkeln und auf zwei Zeitebenen – da gibt es einen Ich-Erzähler, dann seine Reisebekanntschaft, einen Arzt, und schließlich dessen Berufskollegen, den Vater des entführten und ermordeten Jungen. Faszinierender noch als Inhalt und Struktur der Erzählung ist allerdings ihre schöne, wohltuend klare Sprache.

Der schmale Band enthält außerdem zwei autobiographische Berichte des Autors. In dem einen, »Von ihm selber« (1957) überschrieben, verbindet er seine Romane und Erzählungen mit den persönlichen Empfindungen und gesellschaftlichen Umständen ihres Entstehens, um am Ende – in der Rückschau »auf meine Laufbahn als Schriftsteller« – zu bekennen, dass ihm die Altonaer Jugendzeit trotz oder gerade wegen ihrer als gefährlich erachteten Schwärmerei »am innigsten zu Herzen spricht«. Und im Aufsatz »Ich lebe nicht mehr in der Bundesrepublik« (1964) nennt er den Grund dafür, dass er nach der Befreiung, von Kurzbesuchen und einem längeren Aufenthalt Anfang der fünfziger Jahre abgesehen, nicht nach Deutschland zurückgekehrt sei: weil er, von einem »Dutzend oder Halbdutzend vertrauter Freunde« abgesehen, nur Indifferenz gegenüber den Naziverbrechen vorgefunden habe. Er ziehe es deshalb vor, »in einer Fremde zu siedeln, die mir gegen den Preis einer kargen Loyalität den Komfort einer kühlen Gastlichkeit gewährt«.

Durch Vermittlung der Carl-Schurz-Gedächtnisstiftung hatte Maass seit 1940 eine Stelle als Dozent für deutsche Literatur an einem College in Massachusetts, dann in Pennsylvania inne. Ich vermute, dass es ihm da wie dort nicht anders erging als dem österreichischen Dramatiker Ferdinand Bruckner, der auf die Frage nach den Vorteilen eines Emigrantendaseins in den USA auf den Puritanismus deren Provinz »mit ihren auf Moral einerseits und Sünden andererseits beruhenden Ansichten« verwiesen hatte.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Maas, durch eine schwere Erkrankung früh arbeitsunfähig geworden, in New York. »Tausend Mal lieber würde ich in Europa als in den Staaten leben«, schrieb er 1958, »aber zehntausend Mal lieber bin ich Amerikaner als Deutscher.«

Joachim Maass: Der Schnee von Nebraska. Erzählung. Hrsg. v. Andreas F. Kelletat. Persona-Verlag, Mannheim 2024, 90 Seiten, 18 Euro

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