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Aus: Ausgabe vom 16.07.2024, Seite 2 / Inland
Private Seenotrettung im Mittelmeer

»Wir können 100 Menschen an Deck nehmen«

Organisation SARAH bereitet erste Rettungsfahrt im Mittelmeer vor. Eigenes Schiff mit Spenden finanziert. Ein Gespräch mit Markus Groda
Interview: Kristian Stemmler
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Mit bis zu zwanzig Knoten unterwegs: »Sarah«

Ihr Schiff »Sarah« wird in den nächsten Tagen zu seiner ersten Rettungsmission im Mittelmeer aufbrechen. Wer betreibt das Schiff?

So wie das Schiff heißt auch die Organisation dahinter, nämlich SARAH, was für »Search and Rescue for all Humans« steht, also Seenotrettung für alle Menschen. Wir haben dafür nicht die Rechtsform eines Vereins gewählt, sondern die einer gUG, einer »gemeinnützigen Unternehmergesellschaft«. Gründer sind Eva-Maria Deininger, Olaf Oehmichen, Thomas Nuding und ich. Wir haben uns Anfang 2020 nach vielen Einsätzen mit Schiffen anderer NGOs zusammengefunden. Alle unsere Teammitglieder waren bereits in unterschiedlichen Funktionen an Rettungsmissionen beteiligt.

Warum hat es noch vier Jahre gedauert, bis Sie ein Schiff gefunden hatten?

Da wir selbst nicht in der Lage waren, da viel Geld reinzustecken, gab es eine lange Fundraising-Phase. Zwischenzeitlich haben wir mit der Organisation Mission Lifeline Kooperationsmissionen gefahren, sind mit unserem Personal auf deren Schiffen mitgefahren. Irgendwann hatten wir genug Geld, um ein Schiff zu kaufen sowie den Umbau und die Reparatur zu finanzieren. Und dann ist uns dieses Schiff über den Weg gelaufen, das in der Nähe von Málaga lag.

Es handelte sich um eine Luxusyacht, also ein Schiff, um zum Beispiel einen Badeausflug mit Freunden und Familie zu machen, aber von der Substanz her eben auch hochseetauglich. Im Innenraum musste sehr viel gemacht werden, so musste die Champagnerbar weichen. Wir haben das Schiff vor Ort, im Yachthafen von Benalmádena, soweit repariert, dass man damit fahren konnte. Dann haben wir die »Sarah« in die Nähe von Barcelona überführt, wo sie über ein Jahr lang in der Werft repariert und umgebaut werden konnte – dank großen Engage­ments und vieler Spenden. Seit kurzem liegt das Schiff in Licata, Sizilien, und wird demnächst von dort aus zur ersten Mission aufbrechen.

Lassen sich auf einer umgebauten Yacht denn ausreichend Gerettete unterbringen?

Einem Stabilitätsgutachten zufolge können wir 100 Menschen an Deck nehmen, bei gutem Wetter. Damit können wir von den meisten Booten, die draußen unterwegs sind, alle aufnehmen. Es gibt auch große umgebaute Fischerboote mit 700 Personen drauf, aber das ist nicht die Regel. Wir operieren zudem mit allen NGOs im Verbund. Wenn wir jetzt in die libysche SAR-Zone (engl.: Search and Rescue Zone, jW) fahren wollten, dann würden wir das dann machen, wenn Support vorhanden wäre – also ein größeres Schiff, mit dem man im Zweifelsfall kooperieren kann …

… und da sind die hohe Geschwindigkeit der »Sarah« und die Reichweite von 3.000 Kilometer sicherlich von Vorteil.

Genau. Mit der »Sarah« können wir die Menschen in Seenot schnell erreichen und sie vor illegalen Rückführungen, den »Pushbacks«, durch die sogenannte libysche Küstenwache schützen. Wir können vorfahren und die Leute sichern, Schwimmwesten verteilen. Dann warten wir auf das größere Schiff, bleiben, bis dieses vollbesetzt ist, nehmen die noch auf dem Boot verbliebenen Schiffbrüchigen auf und fahren wieder nach Norden. Das ist das von uns angestrebte Szenario. Unsere Mission ist es, so viele Menschen wie möglich vor dem Ertrinkungstod zu bewahren.

Wie bewerten Sie die Grenz- und Migrationspolitik der EU?

Sie ist katastrophal, anders kann man es nicht sagen. Diese Politik führt zu menschenunwürdigen Bedingungen für Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten. Sie macht Fluchtrouten immer gefährlicher und tödlicher. Die Hauptbaustelle ist nach wie vor, was die »Pullbacks« angeht, die sogenannte libysche Küstenwache, die mit Schleusern und anderen Kriminellen kooperiert. Die Zustände in Libyen sind unverändert prekär. Misshandlung, Folter und Menschenhandel sind dort an der Tagesordnung.

Wie wirkt sich der Rechtsruck im Migrationsdiskurs in Deutschland auf die NGOs aus?

Die Spenden sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Und bei Veranstaltungen, Infoständen oder in der Öffentlichkeitsarbeit macht sich das bemerkbar. Es kommt immer öfter vor, dass man unfreundlich angesprochen wird, um es vorsichtig auszudrücken.

Markus Groda ist Mitgründer der Seenotrettungsorganisation SARAH

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