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Aus: Ausgabe vom 26.07.2024, Seite 5 / Inland
Energiepolitik

Ampel erhöht Wetteinsatz

Kabinett beschließt »Wasserstoffimportstrategie«, Habeck fördert »Kernnetz«-Aufbau, »entscheidende Fragen« offen
Von Alexander Reich
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»Klares Signal an unsere Partner im Ausland«: Robert Habeck

Wasserstoff (H2), das neue Ding seit ewig und drei Tagen. Lange hat die deutsche Autoindustrie auf den Energieträger gesetzt. Aber die Bundesregierung bleibt dran. Die »kalte Verbrennung« von H2, bei der kein Kohlendioxid (CO2) entsteht, soll den Verkehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft antreiben. Sowie Stahl- und Chemieindustrie retten. So hat es das Bundeskabinett am Mittwoch in einem Strategiepapier beschlossen.

Bis 2030 werde der Bedarf in der BRD auf 95 bis 130 Terawattstunden steigen, bis 2045 dann sogar auf 560 bis 700 Terawattstunden, heißt es in dem Papier. Zum Vergleich: Berlin verbraucht im Jahr etwa zwölf Terawattstunden. Weil die für 2030 recht optimistisch veranschlagte Nachfrage höchstens zur Hälfte aus dem Inland gedeckt werden könne, verabschiedete das Kabinett am Mittwoch eine »Wasserstoffimportstrategie«.

Der Stoff für die Flugzeuge, Schiffe und Lkws der Zukunft wird durch Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gewonnen. Mittels Elektrolyse. Das ist energieaufwendig und teuer. Noch, sagt die Bundesregierung, und plant die Inbetriebnahme von Wasserstoffpipelines für Importe aus Dänemark (Ende 2028) und Norwegen (2030). Bis nach Algerien soll eine Pipeline führen, eine andere nach Großbritannien. Außerdem sollen LNG-Terminals für Wasserstoffderivate umgerüstet werden, die mit Schiffen ins Land kommen. Vor ihrer Importstrategie hat die Bundesregierung bilaterale Wasserstoffabkommen mit Südafrika, Namibia, Chile, Saudi-Arabien und den Arabischen Emiraten abgeschlossen. Dazu mit Australien und Großbritannien.

Vor überzogenen Erwartungen in den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft warnte zuletzt der EU-Rechnungshof in einem Bericht vom 17. Juli. Die Ziele der EU seien deutlich zu hoch gesteckt. »Der Hof stellte fest, dass die voraussichtlich angeregte Nachfrage bis 2030 nicht einmal zehn Megatonnen erreichen wird, geschweige denn 20 Megatonnen«, heißt es in dem Bericht. »Darüber hinaus kommt eine 2023 durchgeführte Modellrechnung zu dem Schluss, dass die Wasserstoffimporte zumindest bis 2040 relativ bescheiden ausfallen werden (d. h. unter zehn Megatonnen liegen werden).« Eine Megatonne entspricht 33,3 Terawattstunden.

Auch in Deutschland wird die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit größer. Mit dem Mut der Verzweiflung investiert die Bundesregierung Milliarden in »zukunftsweisende Projekte«. Aber »die entscheidenden Fragen« sind nach wie vor offen, wie Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, nach Vorstellung der Regierungsstrategie anmerkte: »Wie schnell kommt der Wasserstoff, und was kostet er? Für die Stahlindustrie kommt es ganz wesentlich auf Geschwindigkeit und Bezahlbarkeit an.«

Weil die Bundesregierung, was das angeht, im Nebel stochert, muss sie besonders optimistisch wirken. Ihre »Importstrategie« soll Zuversicht vermitteln. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) ging es am Mittwoch um ein »klares Signal an unsere Partner im Ausland«: Eine »große und stabile Nachfrage« werde Deutschland zum »verlässlichen Partner und Zielmarkt für Wasserstoffprodukte« machen – solange alle dran glauben.

Noch spielt Wasserstoff in der Wirtschaft kaum eine Rolle. Irgendwann soll er mit Wind- oder Sonnenenergie erzeugt werden, aber bis auf weiteres wird auch die Erzeugung mit Erdgas und Atomkraft gefördert. Solange hinten teurer Wasserstoff rauskommt, ist das Klima egal. Mit diesem Schwung soll in der BRD nun bis 2032 ein »Wasserstoff-Kernnetz« aufgebaut werden: Leitungen mit einer Gesamtlänge von 9.666 Kilometern, von denen die meisten derzeit noch Erdgas transportieren. Die Kosten schätzen die Fernleitungsnetzbetreiber Gas (FNB Gas) auf 19,7 Milliarden Euro. Seit Dienstag liegt ihr Ausbauplan der Bundesnetzagentur zur Genehmigung vor.

Wie bei Erdgas und Strom sollen die Leitungen privatwirtschaftlich betrieben werden, durch Firmen, die Entgelte von Nutzern verlangen. Allerdings sollen Bund und Länder die Erschließung von Teilstrecken fördern. Und für alle Investoren richtet das Wirtschaftsministerium ein »Amortisationskonto« ein, mit dem »die Kosten zeitlich gestreckt« werden könnten. Vorgesehen sei auch eine finanzielle Absicherung durch den Staat gegen »unvorhersehbare Entwicklungen«. Die könnte das Haus Habeck allerdings teuer zu stehen kommen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (26. Juli 2024 um 19:37 Uhr)
    Arrogante Dilettanten verschlimmbessern die Zukunft Deutschlands. Von nichts so richtig eine Ahnung, davon aber jede Menge.
  • Leserbrief von Peter Tiedke (26. Juli 2024 um 11:36 Uhr)
    Wenn auch der Beitrag einen Blick freigibt auf die Dürftigkeit der »Wasserstoffstrategie«, der letzte Satz ist (leider) grundfalsch: »Die könnte das Haus Habeck allerdings teuer zu stehen kommen«? Nein, das werktätige Volk wird diese Ampel und nicht nur wirtschaftlich teuer zu stehen kommen!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (25. Juli 2024 um 22:25 Uhr)
    Kinderbuchautoren und Noske-Fans zeichnen sich durch rege Phantasie aus. Phantasie beim Pfeifen im Walde mag den Melodiewechsel beflügeln, die Realität wohl weniger. Die Wasserstoffimportstrategie hört sich sehr nach Pfeifen im Walde an. Schaut man auf der Seite https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/wasserstoff.html nach, findet man neben den im Artikel zitierten Daten auch das: »Dies bietet zudem die Chance zum Ausbau des EU-Energie-Binnenmarkts sowie zur Kooperation mit sonnen- und windreichen Entwicklungsländern, die ein hohes Potenzial an erneuerbaren Energien haben – von ihnen könnte Deutschland sogenannten «grünen Wasserstoff» importieren.« Weiters: »Deutsche Unternehmen und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, indem Forschung und Entwicklung und der Technologieexport rund um innovative Wasserstofftechnologien forciert werden.« Im Klartext heißt das, dass durch grünen Extraktivismus die Entwicklungsländer weiter unterentwickelt gehalten werden sollen. Der Erfolg dieser linearen Fortschreibung der – früher einmal funktionierenden – Strategie ist fraglich. Erstens finden politische Emanzipationsbewegungen statt (siehe z. B. Sahel), zweitens ist die dafür notwendige Technologieführerschaft nicht mehr garantiert, die gelbe Gefahr schläft nicht. Deshalb noch ’n Zitat: »Darüber hinaus geht es bei Wasserstofftechnologien auch um viele zukunftsfähige Arbeitsplätze, neue Wertschöpfungspotenziale und einen globalen Milliardenmarkt. Deutsche Unternehmen sind in diesem Bereich bereits sehr gut aufgestellt, etwa bei der Brennstoffzelle und der Elektrolyse für die grüne Wasserstofferzeugung. Ziel ist, dass Deutschland bei Wasserstofftechnologien eine globale Vorreiterrolle einnimmt.« Kritische Schlussbemerkung: Die finanzielle Absicherung durch den Staat gegen »unvorhersehbare Entwicklungen« wird nicht das Haus Habeck teuer zu stehen kommen, sondern, liebe jW-LeserIn, dich und mich.

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