»Verfassungsfeind« abgewiesen
Von Fabian LinderBack to Berufsverbote: Am Freitag hat das Münchner Arbeitsgericht die Verhandlung zum Berufsverbotsverfahren gegen den Geoinformatiker Benjamin Ruß fortgesetzt. Ruß klagt zusammen mit dem gewerkschaftlichen Rechtsschutz gegen die Technische Universität München (TUM), die dem jungen Wissenschaftler 2022 aufgrund seiner marxistischen Einstellung verbot, eine Stelle anzutreten. Einer der Streitpunkte des Prozesses ist, dass die Personalabteilung der TUM die Sichtweise des Verfassungsschutzes unhinterfragt übernahm.
2022 hatte sich Ruß für den Lehrstuhl für Kartographie und visuelle Analytik beworben und war zum Bewerbungsgespräch eingeladen worden. Nach der positiven Rückmeldung kam – wie in Bayern bei öffentlichen Institutionen üblich – eine Abfrage zur Verfassungstreue. Ruß kreuzte an, Mitglied der Roten Hilfe zu sein und während seines Studiums auch im Studierendenverband der Linkspartei, SDS, gewesen zu sein. Als der Zeitpunkt des Arbeitsbeginns schon verstrichen war, erhielt Ruß ein Schreiben, das sechs Fragen zur Stellungnahme beinhaltete, und praktisch bekanntgab, dass die Personalabteilung sich beim bayerischen Verfassungsschutz gemeldet hatte. Ruß bekam die Stelle nicht. Begründung: Er soll nicht glaubhaft dargestellt haben, kein Verfassungsfeind zu sein.
Eine Entscheidung im Verfahren steht gegenwärtig noch aus. Diese ist für den 7. August angekündigt. Im großen und ganzen habe es aber auch keine neuen Entwicklungen bei der Verhandlung gegeben, sagte Ruß am Freitag gegenüber junge Welt. Statt dessen stütze sich das Gericht auf die bisherigen Verfahrensschriftsätze.
Während es allerdings in der ersten Verhandlung zunächst um die arbeitsrechtlichen Fragen und Bewertungen des Vorgangs an der TUM ging, bestätigte die Richterin bei der Verhandlung am Freitag diesbezüglich das Klagerecht des Wissenschaftlers. »Was wir in Gang getreten haben, braucht also einen Richterspruch«, erklärte der Geoinformatiker. Das Vorgehen der TUM sei nicht rechtens gewesen. Allerdings betonte die Richterin, dass nach dieser Feststellung – die noch kein Urteil ist – noch die »Verfassungstreue« von Ruß im Raum stehe.
Die Frage nach der Eignung eines Bewerbers, für den Freistaat Bayern zu arbeiten, habe der Anwalt der Gegenseite, der das Bundesland vertritt, schnell aufgegriffen. Der Anwalt habe sich auf von Ruß verfasste Text bezogen, in denen es etwa um die volle Ausnützung des Streikrechts oder um Kritik an einer Militarisierung Bayerns gehe. Dies sei laut dem Anwalt des Bundeslandes ein Rückschluss auf eine Verfassungsfeindlichkeit. »Wenn man in Bayern die demokratischen Grundrechte bis zur Grenze ausreizt, ist man anscheinend schon Verfassungsfeind. Man muss diese Grenze gar nicht überschreiten«, äußerte sich Ruß schlussfolgernd über die Auslassungen des bayerischen Rechtsvertreters.
Erstaunlich sei hingegen gewesen, dass der Anwalt des Freistaats hingegen eine Verbindung zum Prozess gegen die junge Welt vor dem Verwaltungsgericht Berlin vergangene Woche herstellte. Der Anwalt bezog sich auf Ähnlichkeiten zu dem Prozess. Angesichts dieser Argumentation müsse man nun in den Gewerkschaften entsprechende Politik machen. »Jeglicher Versuch zur Durchsetzung der Interessen von Arbeitern kann damit als verfassungsfeindlich gebrandmarkt werden, wenn das in der politischen Argumentation Bestand hat«, kritisierte Ruß. Breite Solidarität erhält der Wissenschaftler genau deshalb von Gewerkschaften, der Roten Hilfe e. V. sowie Betroffenenverbänden, die sich seit der ersten Stunde gegen die Praxis der Berufsverbote wehren.
Von dem möglichen Urteil am 7. August erwartet sich Ruß vor allem, dass das Verfahren in die nächste Instanz gehen wird. Es sei je nach Urteilsspruch davon auszugehen, dass weder Bayern noch Ruß selbst das Ergebnis akzeptieren werden. So sei auch ein von der Richterin am Freitag in den Raum gestellter Vergleich nicht akzeptabel. Man wolle festgestellt haben, dass Unrecht passiert, wenn jemand, der seine demokratischen Rechte wahrnimmt, in Bayern als Verfassungsfeind gebrandmarkt werde. Zudem gehe es Ruß auch um die Stelle, die die Möglichkeit zur Promotion vorsah.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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