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Aus: Ausgabe vom 31.07.2024, Seite 8 / Inland
Tödlicher Polizeieinsatz

»Viele wünschen sich eine umfassende Untersuchung«

Bayern: Mahnwache für erschossenen Mohammad Z. Polizei spricht von Notwehr. Ein Gespräch mit Johanna Böhm
Interview: Hendrik Pachinger, Nürnberg
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Mohammad Z. wurde unter bisher weitgehend ungeklärten Umständen bei einem Polizeieinsatz erschossen (o. D.)

Im bayerischen Lauf an der Pegnitz haben Menschen mit einer Mahnwache an den 34jährigen Iraner Mohammad Z. erinnert. Eine Bundespolizistin hatte ihn am 30. Juni mit einem Bauchschuss tödlich getroffen. Laut Polizei hatte Z. mit einem Messer die Beamten in ihrem Fahrzeug bedroht. Diese sagen, der Schuss musste zum Eigenschutz abgegeben werden. Ist das glaubhaft?

Ob das glaubhaft ist, kann erst gesagt werden, wenn es mehr Informationen zu dem genauen Ablauf gibt. Deshalb fordern wir eine umfassende Aufklärung. Wenn die Polizei bei einem Einsatz Menschen verletzt oder gar tötet, muss eine detaillierte Überprüfung der Verhältnismäßigkeit stattfinden. Besonders dann, wenn der Tathergang wie bei der Tötung von Mohammad Fragen offen lässt.

Am 19. Juli kamen am Ort des tödlichen Polizeischusses Freunde und Bekannte zu einer ersten Mahnwache zusammen. War das problemlos möglich?

Bis auf zwei pöbelnde Männer schon, was mich ehrlich etwas überrascht hat. Ansonsten hatte ich das Gefühl, dass viele Menschen in Lauf Anteil an dem Tod von Mohammad nehmen, Fragen stellen und sich ebenfalls eine umfassende Untersuchung wünschen. Da war das Verhalten des bayerischen Innenministeriums ganz anders. Minister Joachim Herrmann rückte den Fall schnell in die Nähe der Ereignisse von Mannheim (für einen Polizisten tödlicher Messerangriff, jW) und fordert die Ausweisungen von straffälligen Geflüchteten. Damit verbreitet er die Annahme, dass von Geflüchteten pauschal eine Gefahr ausgehe. Das ist falsch und kann wissenschaftlich nicht belegt werden. Das ist auch gefährlich, denn es schafft neue Vorurteile und bestätigt alte.

Die Welle an Polizeimorden in Deutschland, bei denen rassistische Beweggründe vermutet werden, reißt nicht ab. Wären in diesem Fall rassistische Vorurteile denkbar?

Wir können noch nicht beurteilen, ob das eine Rolle gespielt hat, aber denkbar ist es. Polizeigewalt, Racial Profiling und Diskriminierung durch die Polizei betreffen überdurchschnittlich geflüchtete und rassifizierte Personen. Das sind keine Einzelfälle, das ist ein strukturelles Problem. Diese Realität gilt es anzuerkennen, zu kritisieren und zu verändern. Dazu gehört es eben auch, Fälle von Verletzungen oder Todesfälle bei Polizeieinsätzen auf etwaige unrechtmäßige und rassistische Gewalt zu überprüfen.

Nach der Tat übernahmen viele Zeitungen das Narrativ und schrieben von einem Messerangriff. Doch bis heute ist unklar, was für ein Messer Mohammad überhaupt mit sich geführt haben soll. Welches Medienecho haben Sie zu dem Fall wahrgenommen?

Klar, diese Berichte gab es leider auch. Doch viele Medien berichten sehr differenziert und übernehmen nicht nur die Stimmen der Polizei und des Innenministeriums, sondern befragen Zeugen, Angehörige und Menschen, die das Opfer kannten. Das ist wichtig und gehört zur journalistischen Sorgfaltspflicht.

In dieser Art von Fällen stellt sich immer auch die Frage nach dem Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Was fordern Sie dahingehend von den Behörden?

Fast die Hälfte der in den letzten Jahren von der Polizei erschossenen Menschen befanden sich in psychischen Ausnahmesituationen. Für Sicherheitskräfte braucht es mehr Deeskalationstrainings, die den Umgang mit Menschen in psychischen Krisen intensiver einbeziehen. Psychosoziale und therapeutische Angebote für Menschen in Krisensituationen gibt es ohnehin zu wenig. Ganz besonders Angebote für Geflüchtete.

Doch es darf nicht vergessen werden, dass die geflüchtetenfeindliche Situation in Deutschland mit all ihren Verboten und Gängeleien die psychischen Ausnahmesituationen drastisch verschärft und manchmal auch hauptsächlich verursacht. Das heißt, erhebliche Einschränkungen wie Arbeitsverbote oder die Lagerpflicht müssen endlich abgeschafft werden.

Johanna Böhm ist Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrats in Nürnberg

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