»Man wollte unser Handwerk zertifizieren«
Interview: Sara MeyerSie sind eine indigene Weberin und Näherin aus dem Dorf Comalapa, wo sich Künstlerinnen und Künstler niedergelassen haben. Was bedeutet Ihnen dieses Handwerk?
Das Weben stellt eine Verbindung zu meinen Vorfahren her. In jedem Werk findet sich das Wissen unserer Großmütter wieder. Es ist Ausdruck des Wissens der Mayas über Mathematik und Kunst. Es ist Therapie, die uns die Last des Alltags von den Schultern nimmt. Wir weben das traditionelle Gewand für uns selbst, es ist wie eine zweite Haut. Aber wir leben auch vom Verkauf unserer Kunst.
Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen indigene Muster von Modemarken oder Billigproduzenten für Souvenirs gestohlen werden. Wie denken Sie darüber?
Die Billigproduktionen, die ausländische Unternehmen anfertigen, haben unserer Arbeit den Wert genommen. Sie kopieren unsere Muster und drucken sie auf Badehosen, Schuhe und T-Shirts; sogar Hundehalsbänder und Unterwäsche haben wir mit unseren Mustern gesehen. Das beleidigt uns. Sie drucken es auf Sommerkleider und wollen es aussehen lassen wie unser traditionelles Gewand, den »Huipil«. Das wirkt sich negativ auf das Einkommen vieler Familien aus. Das Unwissen der Menschen führt dazu, dass unsere Traditionen nicht geschützt und diese gefälschten Exemplare gekauft werden.
Sie leben und verteidigen die Maya-Tradition mit aller Kraft. Sie sprechen Kaqchikel und versuchen, das auch Ihren Kindern beizubringen. Wie gelingt es Ihnen, Ihre Identität im modernen Alltag zu bewahren?
Wegen der spanischen Kolonisation haben wir unsere Muttersprache verloren und es ist schwierig, der Jugend diese beizubringen. Die sozialen Medien setzen ihnen andere Ideen in den Kopf. Wir schaffen es aber innerhalb unserer Nähkurse, die Sprache wiederzubeleben, da es viele Begriffe gibt, die wir nicht ins Spanische übersetzen können. Grundsätzlich sehen wir derzeit ein starkes Interesse der Jugend an unserer Kultur. Da wir wissen, dass die Jugend ihre Zeit vor allem in den sozialen Medien verbringt, nutzen wir diese, um ein Bewusstsein und einen Stolz für unsere Kultur zu erwecken.
Gab es schon immer Männer, die weben und nähen?
Wegen des »Machismo« ist dieses Handwerk eher den Frauen zugeschrieben, aber es gab immer Männer, die das erlernen. Jüngst ist uns aber aufgefallen, dass immer mehr männliche Indigene in unsere Kurse kommen. Es wird auch immer sichtbarer, dass einige Männer das Näh- und Webhandwerk perfekt beherrschen. Es hat im Grunde nichts mit dem Geschlecht zu tun.
Guatemala hat gerade turbulente Zeiten hinter sich: Seit Anfang des Jahres ist ein neuer Präsident im Amt. Dank der monatelangen Proteste der indigenen Bevölkerung konnte ein Staatsstreich verhindert werden und Bernardo Arévalo an die Staatsspitze treten. Hat das Maya-Volk dafür von der neuen Regierung Anerkennung erhalten?
Die indigenen Bürgermeister der Verwaltungsbezirke haben Anerkennung erfahren, wir als indigene Künstlerinnen nicht direkt. Aber es wurden Türen geöffnet, die vorher verschlossen waren. Zum Beispiel wird unser Kollektiv eingeladen, an Diskussionen mit den verschiedenen Ministerien teilzunehmen. Derzeit wird ein Gesetz besprochen, das unser Handwerk schützen soll, besonders vor den industriellen Fälschungen. Es gab auch eine Auseinandersetzung mit der Regierung, die sich inzwischen positiv für uns geklärt hat: Der Staat hatte beabsichtigt, unser Handwerk zu zertifizieren. Das widerstrebt aber unserer Denkweise über unsere Kunst. Wir haben dieses Wissen von unseren Vorfahren erlangt und brauchen dafür keine Regierung, die uns einen Titel verleiht. Dank unseres Widerstandes wurde das Vorhaben verworfen.
Welchen Einfluss haben westliche Länder auf die Lebensbedingungen Ihrer Gemeinschaften?
Es fließen viele Gelder, aber leider gehen diese immer nur an die Regierung und deshalb kommen diese oft nicht an. Mittlerweile bewerben wir uns auf Stipendien, die wir in den sozialen Medien finden, das funktioniert besser. Wir haben jüngst zwei Finanzierungsmöglichkeiten aus dem Ausland bekommen, die unsere Stiftung unterstützt.
Ivette Curruchich ist Maya-Indigene und Angehörige der Kaqchikel-Gemeinschaft. Sie gehört dem nationalen Weberinnenkollektiv in Guatemala an, das sich für die Rechte indigener Handwerkskunst einsetzt
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