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Zuerst schießen!

Von Pierre Deason-Tomory
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Echt Banane: Ror Wolf collagierte für sein Hörspiel »Bananen-Heinz« seine Gespräche mit dem Hausierer Heinz Banz

Nachhilfe für den MDR: Die mitteldeutsche Verblödungsanstalt musste sich richterlich belehren lassen, dass Satire erlaubt ist und was diese ausmacht. Zuvor hatte es MDR Sachsen abgelehnt, einen satirischen Wahlwerbespot des Politkrawallvereins Die PARTEI auszustrahlen. Darin hört man, wie ein Ehepaar nach der Landtagswahl wahllos auf Mitbürger ballert (»Diesmal schießen wir zuerst!«), weil mehr als die Hälfte für die AfD gestimmt hätte: »Bei fuchsch Prosent wird’s schon dö Rischjen träffn, no!« Das Oberverwaltungsgericht Leipzig widersprach der Ansicht des MDR, dass mit dem Erschießen von AfD-Wählern im Spot eine »Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten« ausgedrückt werde. Es handele sich erkennbar um Satire, dies dränge sich durch den übertriebenen Dialekt der Sprecher geradezu auf (»Viehisch die Gusche ausm Nischl geruppt!«), und so musste das Massaker am vergangenen Donnerstag gesendet werden. Vor der Bundestagswahl 1998 hatte ich als Moderator eines eitrigen Kommerzradios Anweisung, einen Werbespot der NPD abzuspielen. Ich gehorchte und drückte brav den Knopf, es kam aber nur leises Gebrummel aus dem Empfangsgerät. Ich hatte einfach den Regler auf minus 15 Dezibel heruntergezogen.

Die Programmvorschläge: Das Wiener freie Radio sendet ein Gespräch mit der früheren ungarischen Medienregulatorin Krisztina Rozgonyi, die erlebt hat, »Wie Viktor Orbán den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kaperte« (Mi., 17 Uhr, Orange 94.0). Ein Hörspielklassiker mit Willy Birgel und Therese Giehse, die erste von nur zwei Hörspielinszenierungen von Max Ophüls, läuft im »Bayern 2-Salon«: Goethes »Novelle« (BR/RB/SWF 1954, Fr., nach 20.05 Uhr). Das »Kabarettfest Bocholt« ist vorige Woche mitgeschnitten worden, unter anderem traten auf Jonas Klee aka Quichotte, Träger der Goldenen Weißwurscht, und die Weimarer Klavierkabarettistin Anne Folger, die ihren feinen Sinn für Humor unter Beweis stellte, als sie freiwillig in Baden-Württemberg einwanderte (Sa., 15.04 Uhr, WDR 5). »Bananen-Heinz« aus Hessen, ein fliegender Händler, Hausierer und Schelm, erzählte Ror Wolf vor vierzig Jahren als Achtzigjähriger seine Lebensgeschichte (HR 1983, Sa., 18.05 Uhr, DLF Kultur, So., 20.05 Uhr, DLF).

Uraufführung bei den Internationalen Händel-Festspielen in Göttingen: George Petrou hat aus Arien, die der Meister verwarf, das Pasticcio »Sarrasine« nach Balzacs Novelle arrangiert, in der sich ein Bildhauer in eine schöne Sängerin verschaut, die sich als Kastrat entpuppt (Sa., 20.03 Uhr, auf fast allen ARD-Kulturwellen). In »Essay und Diskurs« spricht der deutsche Historiker Mohammad Sarhangi über das »Erzählen in der Einwanderungsgesellschaft« (So., 9.30 Uhr, DLF). Eine Bulgakowsche Teufelin dringt mit irrer Entourage in die Stadt ein, und alles spielt verrückt im Hörspiel »Drifter« von Ulrike Sterblich (BR 2024, Ursendung, So., 15.05 Uhr, Bayern 2). Für den Sonntag abend ist ein Splatter-Movie angekündigt, das nach Empfehlung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften nur im volltrunkenen Zustand angehört werden sollte: »Das Wahlstudio – Sachsen und Thüringen haben gewählt« (17.55 Uhr, DLF). Und zwar vermutlich diejenigen, vor denen Tante Jolesch die Deutschen immer gewarnt hat: »Was setzt du dich hin Karten spielen mit Leuten, was sich hinsetzen Karten spielen mit dir?« zitiert Friedrich Torberg in seinem Buch »Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten«, das er höchstselbst ab Montag morgens auf Radio 3 vorlesen wird (ORF, 1977, 9.30 Uhr).

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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