Khan drängt auf Haftbefehle
Von Knut MellenthinAmnesty International (AI) fordert in einer am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung, zwei israelische Angriffe in Rafah an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten als Kriegsverbrechen zu untersuchen. Die Vorfälle ereigneten sich am 26. und 28. Mai. Insgesamt mindestens 59 Zivilpersonen, darunter 18 Minderjährige, wurden bei diesen Angriffen getötet, die von Israel damit begründet wurden, dass sich dort auch Kämpfer der Hamas versteckt hätten. In der Pressemitteilung von AI Deutschland heißt es zum Angriff am 26. Mai auf ein Flüchtlingslager, die israelische Luftwaffe habe zwei US-amerikanische GBU-39-Lenkbomben mit einem Gewicht von jeweils 113 Kilogramm eingesetzt, die bei der Explosion tödliche Metallsplitter mehrere hundert Meter weit schleudern.
Wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen ermittelt ohnehin schon der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Dessen Chefankläger Karim Khan hatte am Freitag an die damit befassten Richter appelliert, mit Blick auf die äußerst kritische Situation im Kampfgebiet rasch über die fünf Haftbefehle zu entscheiden, die er am 20. Mai beantragt hatte. Sie richten sich auf israelischer Seite gegen Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant, auf palästinensischer Seite gegen den am 31. Juli vermutlich im israelischen Auftrag ermordeten Hamas-Chef Ismail Hanija, dessen Nachfolger Jahja Sinwar und gegen den Oberkommandierenden des militärischen Flügels der Hamas, Mohammed Deif, der am 13. Juli bei einem gezielten Luftangriff getötet worden sein soll.
Während der IStGH schon seit mehreren Jahren gegen Vertreter Israels und der Hamas ermittelt, beziehen sich die am 20. Mai von Khan beantragten Haftbefehle ausschließlich auf das Vordringen palästinensischer Kämpfer auf israelisches Gebiet am 7. Oktober 2023 und die Zeit seither. Alle fünf in dem Antrag Genannten seien sowohl als Mittäter als auch als Vorgesetzte für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit verantwortlich.
Netanjahu und Gallant wirft der Chefankläger unter anderem vielfachen Mord, die Anwendung des Hungernlassens von Zivilisten als Methode der Kriegführung, bewusste Angriffe gegen Zivilisten und das absichtliche Verursachen großer Leiden vor. In der Antragsbegründung zitierte Khan den UN-Generalsekretär António Guterres, der zwei Monate zuvor gewarnt hatte, dass im Gazastreifen 1,1 Millionen Menschen von einer »katastrophalen Hungersnot« bedroht seien.
Zur Selbstrechtfertigung der politischen und militärischen Führung Israels für ihre Kriegsmethoden heißt es in Khans Antrag: »Israel hat wie alle Staaten ein Recht, Aktionen zur Verteidigung seiner Bevölkerung zu unternehmen. Aber dieses Recht entbindet weder Israel noch irgendeinen anderen Staat von der Verpflichtung, sich an die internationale humanitäre Gesetzlichkeit zu halten.« Die von Israel gewählten Mittel, militärische Ziele im Gazastreifen durchzusetzen, seien verbrecherisch.
Netanjahu hatte Khan im Mai als unmittelbare Reaktion beschimpft, er gieße »Benzin ins Feuer des Antisemitismus« und mache den IStGH zu einer »Pariaeinrichtung«. Die Vorwürfe seien »absurd«, »mehr als empörend« und »total falsch«, sagte Netanjahu damals. »Die Nationen der zivilisierten, freien Welt« müssten in diesem Streit »an Israels Seite stehen«.
Zumindest Washington kam dieser Aufforderung sofort nach. Man weise »die Gleichsetzung des Chefanklägers von Israel mit der Hamas« als »schändlich« zurück, hieß es aus dem State Department. Außerdem hätten die USA »schon lange vor dem gegenwärtigen Konflikt« klargestellt, dass der IStGH in dieser Angelegenheit nicht zuständig sei. Die Bundesregierung hingegen war sich nicht einig: Während das Bundeskanzleramt die Unterstützung der Autorität des IStGH in den Vordergrund stellte, mahnte das Außenministerium, das Haager Tribunal müsse jetzt »eine Reihe schwieriger Fragen beantworten, einschließlich der Frage seiner Zuständigkeit«.
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