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Aus: Ausgabe vom 07.09.2024, Seite 2 / Ausland
Justizreform in Mexiko

»Der Klassencharakter ändert sich nicht«

Justizreform in Mexiko: Kritik an Bestrebungen des scheidenden Präsidenten. Ein Gespräch mit Pável Blanco
Interview: Annuschka Eckhardt
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Protest gegen die Reform des Justizwesens vor dem Senatsgebäude in Mexiko-Stadt (5.9.2024)

Rund 1.700 Bundesrichter und Justizangestellte streiken seit mehr als zwei Wochen gegen die Justizreform in Mexiko, die eine Direktwahl der Richter durch das Volk vorsieht. Was halten Sie von den Plänen des scheidenden Präsidenten und seiner Partei?

Es handelt sich nicht wirklich um einen Streik, sondern um eine Arbeitsniederlegung sowohl aus politischen als auch aus arbeitsrechtlichen Gründen. Der politische Grund ist der Widerstand gegen die von Andrés Manuel López Obrador vorgeschlagene Justizreform. Der arbeitsrechtliche Grund ist, dass die Arbeitsbedingungen beeinträchtigt werden. Wir Kommunisten unterscheiden zwischen den lohnabhängigen Beschäftigten, wie beispielsweise Sekretärinnen, Archivare, Verwaltungsangestellte und Reinigungskräfte, und der Justizbürokratie, wie Richtern, Ministern, die Millionen von Dollar verdienen und sich selbst Privilegien eingeräumt haben.

Die erste Hürde im Abgeordnetenhaus hat die Reform diese Woche schon genommen. Nun muss sie noch im Senat diskutiert werden. Die Befürworter der Reform argumentieren, dass die Justiz des Landes hauptsächlich der politischen und wirtschaftlichen Elite und nicht der Allgemeinheit diene. Stimmen Sie dem zu?

Die Justiz verteidigt den Rechtsstaat, das heißt die wirtschaftliche und politische Macht der herrschenden Klasse. Sie schützt niemals die Beschäftigten, sondern nur die Monopole und sogar das organisierte Verbrechen. Das ist aktuell so und wird auch mit Obradors Reform so bleiben, weil sich der Klassencharakter des Rechtssystems Mexikos nicht ändert.

Wir sehen in dem Vorschlag nichts Positives, denn es geht darum, die politische Kontrolle über die Justiz zu übernehmen. Die korrupte Justiz, der Feind der Arbeiter, wird unangetastet bleiben, nun aber in den Händen der neuen Staatspartei, die Obrador schmiedet. Was seine Partei Morena anbelangt, zeigt ihr Verhalten in der Debatte zu diesem Thema, dass sie keine politische Partei ist, sondern eine Unterstützergruppe des Präsidenten. Der Präsidentialismus selbst hebt die Unabhängigkeit der Legislative und der Judikative auf und überträgt der Exekutive die Befugnisse der beiden anderen Gewalten. Wir kämpfen seit Jahren gegen den Präsidentialismus, der einen Absolutismus darstellt.

Kann eine Klassenjustiz – ob von den Eliten oder direkt gewählt – der Arbeiterklasse dienen?

Das Wesen der Klassenjustiz in Mexiko besteht darin, den Kapitalismus zu schützen. Das ist die Quintessenz. Die Justiz wendet ihre Macht gegen Arbeiter und indigene Völker an, die sich für radikale Veränderungen einsetzen.

Warum beteiligen sich auch Jurastudenten an den Protesten?

Die Studenten, die die Arbeitsniederlegung unterstützen, kommen aus der Mittelschicht und von den Universitäten, zu denen die neue Generation der Bourgeoisie Zugang hat. Es ist bezeichnend, dass die juristische Fakultät an der öffentlichen Universität UNAM, die Hochburg der mit reaktionären Ideen sympathisierenden Kräfte – die im übrigen schon immer gegen gerechte studentische Kämpfe waren –, die Bastion dieser demonstrierenden Studenten ist.

Die Reformpläne belasten auch die diplomatischen Beziehungen mit dem Nachbarland, den Vereinigten Staaten.

Im Fall des Streits zwischen Präsident Obrador und Ken Salazar, dem US-Botschafter in Mexiko, handelt es sich um einen simulierten Dissens. Obrador und Morena waren für die Trump- und auch die Biden-Regierung funktional. Wir lehnen die Einmischung der US-Regierung in die inneren Angelegenheiten Mexikos ab. Die Ablehnung Obradors ist rein rhetorisch. Sonst würde er sich vom Handelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, T-MEC, distanzieren.

Wie steht die Kommunistische Partei Mexikos zur Frage der Justizreform?

Für uns geht es nicht darum, die Justiz zu reformieren, sondern der derzeitigen Wirtschaftsordnung und ihrem juristischen Überbau ein Ende zu setzen. Die Wahrung der Interessen der Mehrheit dieses Landes – der Arbeiterklasse, der armen Bauern, der indigenen Völker – wird nur durch eine Änderung des Klassenwesens möglich sein.

Pável Blanco ist erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Mexikos (PCM)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (6. September 2024 um 19:57 Uhr)
    Eine uralte Forderung der Sozialdemokraten und der Kommunisten ist die freie Wahl der Richter durch die Bevölkerung, irgendwie ist es schon komisch, das in diesem Interview mit keinem Wort darauf eingegangen wird.

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