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Aus: Ausgabe vom 28.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Damit es uns schön ist

Dem Schreiberling Peter Wawerzinek zum 70.
Von André Dahlmeyer
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Wir wollten nicht ständig traurig sein: Peter Wawerzinek (1991)

»Die einzigen Menschen, die für mich in Frage kommen, sind die Verrückten, die verrückt sind, zu leben, verrückt zu reden, verrückt, gerettet zu werden, die nach allem gleichzeitig gieren, die nie gähnen oder etwas Alltägliches sagen, sondern brennen, brennen, brennen wie fabelhafte gelbe römische Kerzen, die wie Spinnen über den Sternen ­explodieren.« (Jack Kerouac, On The Road)

Gehen, also Bewegung, erzeugt und steigert kreative Inspiration, das wurde wissenschaftlich nachgewiesen. Gehen, denken, reden, schaffen, reisen, experimentieren (mitunter am eigenen Körper) – das alles sind Akte auf der Suche nach Inspiration. Bücher (vor allem die eigenen) sind Waffen, und wer nicht spurt, kriegt eins damit über den Dez gezogen.

Peter Wawerzinek ist, behaupte ich mal, für sein unruhevolles Gehen weltberühmt. Der Mann ist immer in Bewegung, und er läuft schnell, obwohl er eher kleinwüchsig ist. Nun, Messi ist auch nicht der Größte, als Kind musste er sich täglich Wachstumsspritzen in den Oberschenkel rammen, auch er ist schnell. Und kreativ.

Die 80er Jahre sollen im Westen angeblich bleiern gewesen sein. Das erlebte ich ganz anders. Etwa 1985 begann ich zu schreiben, zunächst Lyrik, das exzessiv, hängte nach 15 Jahren eine nur noch halbherzig an mir vorbeilaufende Basketballkarriere an den Nagel und tauchte ab 1988 – nach einem Polizeiüberfall auf offener Straße (Verwechslung) ein Jahr zuvor – in das journalistische Schreiben ein. Die westdeutsche Stadtzeitungsbewegung hatte es mir angetan, ich schrieb nun regelmäßig für die monatlich erscheinende Stadtzeitung in Braunschweig, arbeitete dort auch von Beginn an redaktionell mit und fuhr auf meinem roten R4 als einziger der brotlosen Zeilenschinder großflächig Werbung durchs Zonenrandgebiet. Geld gab es keins, aber man konnte aufgrund der üblichen Austauschabos jeden Monat in alle Stadtmagazine der Republik hineinschauen, was sehr lehrreich war. Alles, was man rezensierte, gab es gratis, auch Platten und CDs, plötzlich konnte man sogar aus dem Haus gehen, musste keinen Eintritt mehr berappen. Keine Mauer mehr aus Geld. (Reisen fiel eh flach.) Und Bücher segelten über den langen Redaktionstisch wie Herbstlaub. In der Literatur tat sich damals was, eine neue Generation erschien auf der Bildfläche: Ingvar Ambjørnsen »Weiße Nigger«, »Tollwut« von Franz Dobler und »Die kalte Haut der Stadt« von Michael Wildenhain. Die Verlage Nautilus und Rotbuch waren das Nonplusultra. Eines Tages lag dort ein Buch von Bert Papenfuß-Gorek, »dreizehntanz«, der war mir neu, es war die Aufbau-Ausgabe, die Mauer wackelte zahnfaul, war aber noch fastfirm.

Als sie dann fiel, hielt ich mich so oft es ging im Osten auf, meist im Prenzlauer Berg, eher Zufall. Keine Werbung, alles war grau, da war die Zeit stehengeblieben, einfach nur schön. Es dauerte nicht lange und ich zog dort hin, in eine Einraumwohnung in die Kastanienallee, Miete 40 ­D-Mark, Gründerzeitkühlschrank, um die Ecke vom Hirschhof. Durch den sich selbst weglobenden CSU-Wolf (span. Lobo) war mir mittlerweile Sascha Anderson ein Begriff. Die Prenzlauer-Berg-Szene war mir wurscht, Literaten und andere Angeber sowieso, aber es gab dort einen Typen, der war anders: Peter Wawerzinek. Alle kannten ihn. Er machte Wirbel, fiel auf, wollte den Blechtrommler und die Böllerei »wegmachen«, das mochte ich, die »Gruppe 47« war nicht mehr zu ertragen. Seine Devise: Werde nichts, aber werde es gut. Seit mir als Kind erzählt worden war, dass man später arbeiten müsse, um Miete zahlen zu können, wollte ich gar nichts mehr werden. So hatten wir nicht gewettet. Die konnten mich alle mal kreuzweise. Dann erschienen seine Bücher »Nix« (siehe Youtube-Filmchen!) und »Moppel Schappiks Tätowierungen«, absoluter Kult.

Zwischendurch gewann er 1991 in Klagenfurt beim Bachmann-Preis das Bertelsmann-Stipendium (2010 gab es dann den Hauptpreis). Mit Arbeiterfreunden feierte ich das drei Tage lang im Friedrichshain. Dass einer wie Schappi überhaupt dort antreten konnte, erschien uns komplett surreal, er war ja nicht gerade ein Biedermann (aber so was wie ein Vorbild). Seine kalkulierten Performances, teils improvisiert, teils getarnt improvisiert, waren für einige aber mal ganz dunkelrote Tücher, erst recht für die, die sich masochistisch »Underground« schimpften und die aber kaum jemand verstand. Die hatten eine Mauer zum gemeinen Werktätigen und zum Rest der Kartoffel aufgebaut, die atombombensicher war. Progressiv ist jedoch nur der offene Raum, das offene Ohr, dem Volk auf’s Maul zu schauen, ohne ihm Recht zu geben, nachzuplappern, zu salbadern. Schappi war Sprache, war Rausch, war nuanciert, war Party, war nicht perfekt. Er traf unser Lebensgefühl. Wir wollten nicht ständig traurig sein, trotz allem, sondern tanzen wie Alexis Sorbas, unseretwegen auch auf Ruinen. Dann würde sich der ganze verdammte Rest doch von alleine zu uns herablassen.

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