»Eine schriftliche Begründung erhielt ich nie«
Interview: Milan NowakEnde September wurde ein Brief öffentlich, der die Aufhebung Ihrer Suspendierung beim Historischen Museum Frankfurt am Main fordert. Wieso wurden Sie entlassen?
Ich war dort als freier Guide und Publikumsbetreuer tätig. Nach meinem Auftreten als Pressesprecher beim palästinasolidarischen Camp »Hind’s Garden« an der Goethe-Universität wurde ich am 13. Juni von meiner Vorgesetzten angerufen. Sie teilte mir mit, dass es aufgrund meiner »öffentlich getätigten Aussagen Bedenken« gebe. Weil dazu eine »interne Diskussion« im Gange sei – an der ich mich nicht beteiligen durfte –, würde ich noch einmal kontaktiert werden und bis dahin aus dem Schichtplan ausgetragen. Am 18. Juni wurde mir telefonisch mitgeteilt, dass es mindestens bis August einen Auftragsstopp für mich gebe.
Ich erhob Einspruch und erklärte, ich betrachtete den Schritt als Sanktionierung abseits aller Rechtsstandards. Ich forderte eine schriftliche Bestätigung des Auftragsstopps und ein Gespräch, in dem die Vorwürfe mir gegenüber transparent gemacht werden. Eine schriftliche Begründung erhielt ich nie. Nach mehreren Wochen wurde ich zum Gespräch eingeladen. Als ich um ein Protokoll und Begleitung aus der Belegschaft bat, wurde es abgesagt. Seitdem antwortet das Museum nicht mehr. Darum reagieren wir mit einer öffentlichen Petition.
Bereits im November 2023 wurde ein Tourguide im Jüdischen Museum Berlin wegen einer Aussage zum Westjordanland entlassen.
Der Ausschluss von Stimmen, die den Genozid in Gaza als solchen benennen, hat in Deutschland System. Das wird vom European Legal Support Center und dem Archive of Silence dokumentiert. Besonders im Bildungssystem ist der Anteil der Betroffenen sehr hoch, wie die Wissenschaftlerinnen Anna Younes und Hanna Al-Taher ausgearbeitet haben. Jüdische Stimmen sind besonders von Absagen betroffen. Nicht jedes Blut an den Händen von Tätern ist sichtbar. In letzter Zeit muss ich oft an ein Zitat Bertolt Brechts denken: »Es gibt viele Wege zu töten, (…) man kann einem auch das Brot entziehen (…). Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.« Ein Staat kann auch töten, indem er während eines Genozids alle sanktioniert, die ihn anprangern. Genau das tut die BRD, während sie gleichzeitig die benötigten Waffen liefert.
Sie boten Führungen zur Geschichte des deutschen Faschismus in Frankfurt am Main an. Wie hat Ihre Gedenkarbeit Ihr Engagement im Palästina-Camp beeinflusst?
Das Museum hatte 2022 eine gute Ausstellung über den deutschen Faschismus. Ich konnte keine einzige lokale Instanz in Frankfurt identifizieren, die im Faschismus relevant war und nach 1945 auch verurteilt wurde. Das Verfahren gegen alle drei Lagerleiter wurde eingestellt, der Nazioberbürgermeister saß bis 1958 im Stadtparlament, von 3.000 Gestapo-Mitarbeitern wurde nur einer verurteilt. Bei der Belegschaft der Polizei wurde nicht einmal nachgefragt, wer NSDAP-Mitglied war, und die Aktionäre von Konzernen wie der IG Farben oder der Adlerwerke, die eigene KZ hatten, kamen nie vor Gericht. Eine »Stunde Null« hat es nie gegeben. Der Schwur von Buchenwald bleibt aktuell. Derselbe Staat, der diese Antisemiten geschützt und weiter finanziert hat, beansprucht heute Hoheit darüber, wie Antisemitismus definiert wird. Im Zweifel werden auch Personen wie ich, mit jüdischem Familienhintergrund, diffamiert.
Was fordern Sie vom Historischen Museum?
Wir fordern, dass es meine Suspendierung intern und öffentlich kritisch aufarbeitet und schnellstmöglich aufhebt. Es gibt eine interne Petition von Kollegen, die das ebenfalls fordert. Sie prangert auch die Intransparenz und Willkür an, der freie Mitarbeiter potentiell ausgesetzt sind, da sie vom Arbeitsrecht ausgeschlossen sind. Zu meiner Unterstützung kann man unseren offenen Brief als Einzelperson oder Organisation unterzeichnen oder auch eine E-Mail an das Museum verfassen. Anonyme Unterzeichnungen sind ebenfalls möglich. Wir freuen uns über jede Unterstützung. Die bisherige Solidarität ist überwältigend.
Daniel Shuminov ist Student und Pressesprecher des palästinasolidarischen Camps »Hind’s Garden« an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
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