Sandkastenübung
Von Arnold SchölzelRüdiger Lucassen, Jahrgang 1951, ist verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion und ehemaliger Oberst im Generalstab der Bundeswehr. Er schied 2006 auf eigenen Wunsch aus dem Dienst aus und schreibt auf seiner Internetseite: »Ich will eine starke und stolze Bundeswehr.« Deswegen sei er für Wehrpflicht und Reservisten nach dem Vorbild der US-Nationalgarde. Als Gründe für seine AfD-Mitgliedschaft zählt er auf: Atomausstieg und Aussetzung der Wehrpflicht 2011, »die haltlosen Rettungspakete für Griechenland« und den »Rechtsbruch der Merkel-Regierung, Hunderttausende Migranten unkontrolliert ins Land zu lassen«, und überhaupt das »Staatsversagen«. Die FAZ zählte ihn 2023 zu den »NATO-Boys« in der AfD-Bundestagsfraktion, von denen sie die »Putin-Jünger« unterschied. Bereits im Mai 2021 wünschte Lucassen den Streitkräften Israels in deren damaligem dreiwöchigem Feldzug gegen Gaza (248 tote Palästinenser, 13 tote Israelis) im Bundestag »gute Jagd und fette Beute«, was ihm damals noch einen Ordnungsruf eintrug. Er ist für die atomare Bewaffnung der Bundeswehr und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, weil mit ihnen die deutsche Armee geplündert werde.
Eine Brandmauer zur »Zeitenwende« existiert bei Lucassen nicht. Dennoch versuchte Deutschlandfunk-Redakteur Christoph Heinemann am Freitag, ihn im Interview als Kremlsprachrohr zu entlarven. Um es vorwegzunehmen: Da Heinemann durchs Nachbeten der Regierungspropaganda erheblich verdummt ist, wird es ein Sieg nach Punkten für den Oberst a. D. Im Interviewvorspann lässt Heinemann bereits die Gratisblödelei los: »AfD und BSW vertreten russische Positionen«, und fragt: »Worin unterscheidet sich die Position der AfD von der des Kreml?« Leichte Aufgabe für Lucassen: Die AfD sei für Verhandlungen, Waffenstillstand und eine »Beendigung dieses Abnutzungskrieges«. Selbstverdummung geht aber mit Unbeirrbarkeit einher, also fragt Heinemann dasselbe: »Warum kann sich Putin auf die AfD verlassen?« Antwort: Siehe oben. Zusatz: Waffenlieferungen haben zur Eskalation geführt, was nicht im Interesse beider Nationen, Ukraine und Russische Föderation, liegen könne. Putin sei aber offenbar nicht für das Ende des Krieges.
Heinemann ist im Unterschied zum Berufsmilitär Fanatiker, der recht behalten möchte, was eine berufsbedingte Deformation zum Ausfall des Denkvermögens steigern kann. Also noch einmal dieselbe soeben beantwortete Frage, anders herum. Die AfD sei gegen Sanktionen, Waffenlieferungen und Raketenstationierungen: »Woran merkt man die Unterschiede?« Eine Sandkastenübung für Lucassen, zu sagen: »Stationierung ist doch ein anderes Thema.« Da komme der Kanzler aus Washington zurück und kündige die Raketen an, eine »Entscheidung von solcher Tragweite« gehöre aber in den Bundestag. Zu Heinemann dringt durch, dass er da ein Thema angeschnitten hat, das nach Regierungswillen, der ihm Befehl ist, nicht in die breite Öffentlichkeit gehört. Also schnell weg: »Warum ist die AfD nicht bereit, den ukrainischen Freiheitskampf zu unterstützen?« Eine Steilvorlage: Die AfD betone den Freiheitskampf genauso wie, »dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt«. Heinemann ist nun zum ersten Mal leicht beunruhigt und fällt Lucassen ins Wort: »Wer von der AfD hätte das im Bundestag jemals so gesagt?« Antwort: »Ich.«
Anstatt das Interview hier abzubrechen und seinen Job wegen desaströser Vorbereitung aufs Interview an den Nagel zu hängen, setzt Heinemann unverdrossen fort. Mehr PR benötigt ein AfD-Bundeswehr-Fan und Unterstützer der richtigen – zum Beispiel israelischen – Kriege nicht. Kriegspropaganda schlägt um in AfD-Förderung. Ist folgerichtig.
Mehr PR benötigt ein AfD-Bundeswehrfan und Unterstützer der richtigen – zum Beispiel israelischen – Kriege nicht. Kriegspropaganda schlägt um in AfD-Förderung. Ist folgerichtig.
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