Solidarität als Verbrechen
Von Annuschka EckhardtEin Dutzend Personen hat sich am Freitag vormittag vor dem roten Backsteingebäude der Polizeidirektion 5 in Berlin-Kreuzberg versammelt, wartet in der Sonne, eine Genossin soll vom BKA verhört werden. Grund: Solidarität als Verbrechen.
Am Freitag wurde Ariane Müller in Berlin vom BKA verhört – zum Fall der im Februar in Berlin festgenommenen Daniela Klette. Die Staatsanwaltschaft will im November Anklage gegen das mutmaßliche frühere Mitglied der Roten Armee Fraktion erheben, Klette ist in der Justizvollzugsanstalt für Frauen im niedersächsischen Vechta gefangen. Die ehemalige Krankenschwester und Betriebsrätin Müller engagierte sich nach Klettes Festnahme, meldete Solidaritätskundgebungen an, schrieb Briefe und erlangte Besuchsrecht. Die Repression ließ nicht lange auf sich warten: Müller wurden zunächst ihre Aufgaben als Betriebsrätin untersagt, wenig später folgte eine Freistellung. Im Mai konnte sie Klette zum ersten Mal in der JVA Vechta besuchen. Fünf Besuche fanden statt, bis Anfang September ein Brief eintrudelte: Besuchsverbot. In dem Beschluss, der jW vorliegt, schreibt der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, »Frau Ariane Müller ist eine Dauerbesuchserlaubnis für die Beschuldigte erteilt worden. Der Durchführung weiterer Besuche stehen Gründe der Überhaft entgegen.« Es bestehe »die konkrete Gefahr«, dass Klette und Müller »zukünftige Besuche dazu nutzen könnten, um Vorkehrungen für eine Flucht zu treffen.« Müller wird zudem vorgeworfen, sie könne im Kontakt zu den gesuchten mutmaßlichen Ex-RAF-Mitgliedern Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg stehen. Dann lud das BKA sie zu einem Verhör.
Über eine Stunde dauerte die Verweigerung ihrer Aussage in dem Backsteinbau der Direktion 5, trotz Begleitung von Müllers Anwalt Adrian Wedel. Nun könnte ein Bußgeld auf sie zukommen, oder sogar Beugehaft. »Diese Vorladung soll Menschen von Gefangenensolidarität abhalten, die Staatsmacht verschickt solche Briefe als Abschreckung«, sagte Müller nach dem Verhör gegenüber junge Welt. »Die Polizisten wollten Fragen stellen, aber mein Anwalt und ich haben gesagt: Nein, wir berufen uns auf mein Aussageverweigerungsrecht, weil ich könnte mich ja selbst belasten«. Die Behörden versuchten mit allen Mitteln, »Daniela mit Besuchsverboten zu isolieren. Wir erinnern an die Einzelisolation, die 24stündige Videoüberwachung in der Zelle, die Metallblende vor dem Zellenfenster, so dass kein Sonnenlicht in die Zelle kommen konnte«. Dazu käme Einzelhofgang in den ersten sieben Wochen im Gefängnis. »Und wie kann eine inhaltliche Diskussion entstehen, wenn ein Brief von mir zu ihr acht Wochen braucht?«, so Müller.
Auch die Mitglieder des Solidaritätskreises empört die Repression: »In den 70er Jahren, da hat es zumindest eine RAF gegeben, es hat Aktionen gegeben, und viele Leute, Mitglieder oder Unterstützer, haben ihre Strafen absitzen müssen«, sagte Alexander Roth (Name geändert) am Freitag vor dem Polizeirevier. »Jetzt veranstalten die Behörden eine Hexenjagd gegen Rentner zwischen 70 und 80 Jahren, die sollen dann noch mal unter Druck gesetzt werden mit diesen Zeugenvorladungen«, so Roth zu junge Welt.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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