In der Sackgasse
Von Jörg KronauerDer Satz »Business as usual ist keine Option mehr«, der lapidar im Entwurf für die Abschlusserklärung des informellen EU-Gipfels stand, überschattete die Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs am Freitag in Budapest – und das in gleich mehrfacher Hinsicht.
Da war zum einen der Auftritt des ehemaligen EZB-Präsidenten: Mario Draghi hatte schon im September in Brüssel einen Bericht präsentiert, in dem er der EU trocken attestierte, die »digitale Revolution weitgehend verpasst« zu haben. Die Produktivität in der EU sei weithin schwach; wolle man aufholen, müsse man bis zu 800 Milliarden Euro investieren – nein, nicht insgesamt, sondern jährlich. Es kommt noch hinzu, dass nach dem bevorstehenden Wechsel im Weißen Haus eine satte Strafzollschlacht droht. Die Kosten? Allein für Deutschland könnten sie sich in den nächsten vier Jahren summiert auf bis zu 180 Milliarden Euro belaufen, berechnete vor kurzem das kapitalnahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Energische Schritte seien jetzt »noch dringender« als zuvor, konstatierte Draghi am Freitag in Brüssel kühl.
Dann war da zum anderen die Debatte über den Ukraine-Krieg. Dass er militärisch verloren ist, krächzen inzwischen die Aasgeier von den Dächern. Wenn Trump, wie er angekündigt hat, aus der Kriegsfinanzierung aussteigt, dann bliebe der EU, wenn sie das Schlachten weiter unterstützen will, nur eines, und auch dies wurde diskutiert: die Rolle des Hauptzahlers künftig selbst zu übernehmen. Das würde nach allem, was sich absehen lässt, keinen Sieg bringen, die Ukraine und ihre Bevölkerung aber noch schlimmer ruinieren. Militärexperten schätzen, dass Kiew vielleicht noch für sechs bis zwölf Monate Soldaten zusammentreiben kann; dann ist endgültig Schluss. Sollte die EU wider Erwarten bereit sein, den Irrsinn per Waffenstillstand zu stoppen, begännen die Mühen des Wiederaufbaus. Auch den wird Washington kaum maßgeblich finanzieren. Auch in diesem Fall stünden der EU gewaltige Zusatzkosten in mindestens dreistelliger Milliardenhöhe bevor.
Jedes Gespräch, das er gegenwärtig auf EU-Gipfeln führe, berichtete Irlands Premier Simon Harris am Donnerstag auf dem Weg nach Budapest, drehe sich um irgend etwas ganz existentiell Wichtiges, wofür man immense Beträge ausgeben müsse: Digitalisierung, Klima, Wettbewerbsfähigkeit, gravierende Mängel in der Infrastruktur, Militär und vieles andere mehr. Die EU ist, das zeigt sich immer deutlicher, auf vielen Feldern gegenüber der globalen Konkurrenz in Rückstand geraten. Wenn nicht gehandelt würde, »steht ihr ein langsamer, aber qualvoller Niedergang bevor«, hatte Draghi bereits im September vorausgesagt. Tut sie es, wird Brüssel gewaltige Schulden aufnehmen müssen. Diese waren bislang an erbittertem Widerstand aus Berlin gescheitert. Ob den in Budapest oft gehörten Worten »Business as usual« sei »keine Option mehr« Taten folgen – wer weiß.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (9. November 2024 um 21:36 Uhr)Die US-Amerikaner investieren viel, die Chinesen erneuern viel, und die Europäer regulieren – viel zu viel. Neu ist diese Beobachtung nicht. Doch der Bericht, den der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi im September veröffentlichte, hat die EU-Institutionen wachgerüttelt. Hinzu kommt das zunehmend unsicherere Verhältnis zu den USA, dem wichtigsten Handelspartner der EU. Doch wie lässt sich der 400seitige Bericht eines erfahrenen Funktionärs in konkrete Politik umsetzen? Und wie finanziert man die massiven Investitionen, die Draghi skizziert hat? Genau diese Fragen haben die 27 Staats- und Regierungschefs der EU in Budapest zu klären versucht, nachdem sie bereits am Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft teilgenommen hatten – gelöst sind sie jedoch lange noch nicht.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (9. November 2024 um 14:32 Uhr)Die existenziellen Probleme des 21. Jahrhunderts, hauptsächlich bereits verursacht und drastisch verschärft im 20. Jahrhundert, lassen sich weder mit den Methoden noch mit der Geisteshaltung des 19. mehr lösen. Nicht sich gegenseitig vernichtende Konkurrenz, sondern uneingeschränkte globale Kooperation sind dringend geboten, denn: »The World has enough for everyone’s need, but not for everyone’s greed.« (Mahatma Gandhi) Ansonsten droht schon bald: Game over! Und zwar nicht nur für Europa, sondern für den gesamten Planeten.
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