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Aus: Ausgabe vom 11.11.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Linke in Nahost

Die Isolation überwinden

Zwei Arbeiten zur Geschichte und Gegenwart der palästinensischen und israelischen Linken
Von Dieter Reinisch
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Mitglieder von Chadasch, ein 1977 von der israelischen KP gegründetes linkes Bündnis (Tel Aviv, 3.6.2023)

Weltweit diskutieren Linke über den Umgang mit den politischen Organisationen Palästinas, die in der Regel auch über einen bewaffneten Arm verfügen. Und diese Diskussion begann bereits vor vielen Jahrzehnten. Das hat mit der Entwicklung der israelischen Gesellschaft und mit der Entwicklung der palästinensischen Nationalbewegung zu tun. Denn die ersten vier Jahrzehnte nach der Nakba und der Staatsgründung Israels war das politische Leben nationalistisch, aber doch auch säkular und progressiv geprägt. Aber die erste Intifada, der Zusammenbruch des Realsozialismus und der Oslo-Prozess brachen dem palästinensischen Linksnationalismus das Genick. Heute wird das politische Leben genauso wie der bewaffnete Kampf in Gaza und zunehmend der Westbank von religiös geprägten Gruppen dominiert. Und in Israel selber, sagen viele Beobachter, gibt es im Grunde keine relevante politische Linke mehr.

An der Seite von Hamas und Islamischem Dschihad griffen am 7. Oktober 2023 auch Gruppen Israel an, die aus einer linken Tradition kommen. Seit Jahren sind sie Teil der militärischen Führung im Gazastreifen. Das macht es für Linke etwa in Europa noch schwieriger, diese komplizierten Entwicklungen einzuordnen und sich zu positionieren. Lange Zeit lag auf Deutsch nur eine ausführliche Darstellung über die Linke in Palästina vor – doch das bis heute wertvolle Buch des jW-Autors Gerrit Hoekman ist bereits über 25 Jahre alt. Zuletzt sind zwei weitere Texte zum Themenkomplex erschienen. Der österreichische Autor Thomas Schmidinger geht in seinem Band vorrangig auf die Linke in Gaza und der Westbank ein, kaum auf jene in Israel. Gleichzeitig bewertet er den Zionismus – wo er sich dazu äußert – als »diverser« als viele andere Autoren, die zu dem Thema geschrieben haben. Er will damit offenbar andeuten, dass es auch heute noch einen linken Flügel des Zionismus gibt, mit dem eine Zusammenarbeit notwendig sei.

Einen anderen Zugang hat Leon Wystrychowski gewählt. Anders als Schmidingers wurde der Text vor den Ereignissen des 7. Oktober 2023 verfasst. Sein Fokus liegt vor allem auf der historischen Entwicklung der kommunistischen und marxistischen Linken im Nahen Osten. Der Autor ist selbst in palästinasolidarischen und kommunistischen Organisationen in Duisburg aktiv und studierte Islamwissenschaften. Er setzt mit der Entwicklung der Jüdischen Kommunistischen Partei Anfang der 1920er Jahre an, den Debatten in der Kommunistischen Internationale und den Spannungen zwischen jüdischer Mehrheit und arabischer Minderheit in der Partei. Interessant sind hier etwa die Positionen der Partei in Zusammenhang mit den antibritischen Ausschreitungen 1929 und dem Generalstreik in den 1930er Jahren, die zur Forderung durch die Komintern führte, die Partei müsse »ihre Isolation in der arabischen Bevölkerung endlich überwinden«.

Das gelang indes nicht: Schon in den 1940er Jahren brach die Kommunistische Partei als politischer Faktor zusammen. Wystrychowski folgt ihrer Geschichte und der der sich bis heute auf sie berufenden Organisationen zwar weiter – ihr Einfluss in der Bevölkerung ist aber gering geblieben. Auch folgt die Darstellung nach 1948 klar und gut lesbar weiter der Entwicklung des arabischen Nationalismus, Nasserismus und anderer Schattierungen des »arabischen Nationalismus« bis zum Entstehen der heute noch existierenden marxistischen Strömungen PFLP und DFLP, nimmt aber auch deren Absplitterungen und internationale Verbindungen im Spannungsfeld zwischen Libanon, Jordanien, Iran, Irak und vor allem dem syrischen Bürgerkrieg in den Blick

Viel Raum gibt er auch den linken Strömungen in Israel: dem Scheitern des Linkszionismus, der Sozialdemokratie und der Verbindungen palästinensischer Gruppen mit der Kommunistischen Partei Israels, sowie der starken Friedensbewegung in den 1980er Jahren. Am Ende bleibt jedoch ein eindeutiger Befund: In beiden Staaten auf dem Boden des ehemaligen britischen Völkerbundmandats Palästina ist die Linke heute marginal und verfügt nur noch über einen Schatten ihres einstigen Einflusses. Um ihr Scheitern zu verstehen und um durch solidarische Arbeit in Europa an ihrer Rekonstruktion mitzuwirken, sind beide Bücher unverzichtbar für an der Region interessierte Leser.

Thomas Schmidinger: Die Linke in Palästina. Eine Einführung. Mandelbaum, Wien 2024, 160 Seiten, 15 Euro

Leon Wystrychowski: Die palästinensische und israelische Linke. Ein historischer Überblick. Aphorisma, Berlin 2023, 60 Seiten, 7,50 Euro

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