Faultier auf Valium
Von Ralf WurzbacherDie Mobilitätswende ist ein Faultier auf Valium. Der 2024 erzielte »Fortschritt« beim Neu- und Ausbau von Bahnstrecken: 48,2 Kilometer. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum legte das Straßennetz, ähnlich wie in den Vorjahren, um 10.000 Kilometer zu. Das sei »eine traurige Bilanz«, erklärte am Donnerstag der Verband Die Güterbahnen, der wie immer kurz vor Weihnachten das Maßband angelegt hat. »Wenn Deutschland in diesem Tempo weiterbaut, wird es schwierig, die verkehrspolitischen Ziele der kommenden Jahre einzuhalten«, äußerte sich der Vorstandsvorsitzende Ludolf Kerkeling.
Immerhin tut sich überhaupt etwas, nachdem die Kapazitäten über Jahrzehnte rücksichtslos eingedampft worden waren. Der Vorjahreswert, 20 Kilometer, wurde mehr als verdoppelt, 2018 standen sogar nur sechs Kilometer mehr zu Buche. Jedoch blieb man auch weit hinter der Leistung von 2022 zurück, die bei knapp 80 Kilometer lag. Die Schwankungen belegen einmal mehr, dass der sogenannte »Masterplan Schiene« solange Stückwerk bleibt, wie Sparhaushalte und Autominister den Kurs bestimmen. »Dabei wollen wir erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren, um prioritär Projekte eines Deutschlandtaktes umzusetzen«, hatte die inzwischen kaputte Ampel einst in ihrem Koalitionsvertrag versprochen. Tatsächlich sei im Entwurf des Bundeshaushalts 2025 viermal mehr Geld für den Ausbau von Bundesfernstraßen vorgesehen als für den der Bahninfrastruktur, rechnete Kerkeling gestern in einer Medienmitteilung vor.
Wie fatal das ist, wird in der Rückschau klar: Seit der »Bahnreform« vor 30 Jahren gingen über 5.000 Streckenkilometer verloren, während 250.000 Kilometer Asphaltpiste dazukamen, was dem sechsfachen Erdumfang entspricht. Derzeit setzt die Bahn sehr einseitig aufs Sanieren. Am Sonntag soll die Riedbahn zwischen Frankfurt (Main) und Mannheim nach fünfmonatiger Dauerbaustelle wieder in Betrieb gehen. Wie viele der zwischenzeitlich aufs Auto Umgestiegenen nach der Zwangspause wieder auf den Zug aufspringen werden, muss sich noch zeigen. Auf alle Fälle riskiert die DB mit ihrer »Generalsanierung« gewaltige Kundenverluste. Dabei werden über Monate hochfrequentierte Abschnitte komplett gesperrt, statt sie wie andernorts üblich »unter rollendem Rad« flottzumachen. Das aber hat die Bahn verlernt, auch weil es massenhaft an Ausweichstrecken und Gleisanschlüssen fehlt.
Das heißt: Das Netz mag irgendwann »saniert« sein, bloß fahren dann immer weniger mit. Bei schwindender Nachfrage steigen wiederum die Preise, was noch mehr Fahrgäste vertreibt. Und bei ausbleibender Kundschaft wird das Angebot noch stärker gekappt. Ein Teufelskreis. Tatsächlich hatte der Staatskonzern im Sommer angekündigt, unrentable Strecken, insbesondere in Ostdeutschland, einzustellen. Aus Sicht des Güterbahnverbandes braucht es beides, »Sanierungen und den Neubau zugleich«, denn »Kapazität für mehr Züge schafft nur der Neu- und Ausbau«. Aber diesen, obwohl heute schon auf »minimalistischem Niveau«, wolle die Regierung »weiter ausbremsen«, beklagte Kerkeling. »Die derzeitige toxische Mischung aus Ambitionslosigkeit, wenigen Neubaumitteln, unsicherer Haushaltslage und einem überhöhten Heilversprechen von bloßen Sanierungen untergräbt die Idee, Deutschland die positive Vision von reibungslosem Schienenverkehr zu geben, der mehr aufnehmen kann.«
Wie kümmerlich der Erneuerungswille bei den Verantwortlichen ist, zeigt sich beim Thema Elektrifizierung. In der BRD stehen nur knapp über 60 Prozent des Netzes unter Strom, das der Schweiz zu 100 Prozent, seit über zwei Jahrzehnten. Bis 2030 sollen nach den Plänen der Bundesregierung 4.000 Kilometer neue Oberleitungen errichtet werden. Was hat man 2024 erledigt? Fünf Kilometer – »grotesk wenig«, wie Kerkeling bemerkte. Zwei schöne Regierungsziele mehr: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppelt und der Marktanteil im Güterverkehr von 19 Prozent auf 25 Prozent gestiegen sein. Ursprünglich sollte bis dahin auch der »Deutschlandtakt« umgesetzt sein. Mittlerweile peilen die Macher das Jahr 2070 an. Alles mit der Ruhe.
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