Karlsruhe wird abgeschirmt
Von Kristian StemmlerWas der Öffentlichkeit als dringende Maßnahme im Kampf gegen eine erstarkende AfD verkauft werden kann, findet im Bundestag auch nach dem Ampelaus noch breite Zustimmung. Am Donnerstag haben sich die Fraktionen von SPD, Union, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sowie die Gruppe Die Linke im Bundestag auf eine Änderung des Grundgesetzes einigen können, mit der wichtige Bestimmungen zum Statut des Bundesverfassungsgerichts fortan Verfassungsrang erhalten. Bisher waren sie in einem einfachen Bundesgesetz geregelt. Mit der Neuregelung soll das höchste Gericht der BRD »besser geschützt« werden. 600 Abgeordnete stimmten für die Grundgesetzänderung, 69 Abgeordnete dagegen.
Mit dem Gesetz, auf das sich die Ampelkoalition bereits im Sommer mit der Union geeinigt hatte, soll die parlamentarische Einflussnahme auf das Verfassungsgericht in Zukunft deutlich erschwert werden. Verwiesen wird dabei auf das Vorgehen der damaligen PiS-Regierung in Polen sowie auf Orbáns Ungarn als demnach mahnende Beispiele. So hatte die PiS das Rentenalter für Richterinnen und Richter des Obersten Gerichtshofs herabgesetzt und die Vielzahl an freigewordenen Stellen mit parteinahen Richtern besetzt.
Ähnliches soll für die BRD verhindert werden, argumentieren die Befürworter der Grundrechtsänderung. Sie schreibt fest, dass das Karlsruher Gericht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern besteht, die Amtszeit zwölf Jahre beträgt, die Altersgrenze der Richter bei 68 Jahren liegt und eine Wiederwahl ausgeschlossen ist. Die Richter sollen weiterhin je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Bisher ist all das im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt, das mit einfacher Mehrheit geändert werden könnte.
Um die Arbeitsfähigkeit des Gerichts zu gewährleisten, soll im Grundgesetz künftig außerdem stehen, dass ein Richter seine Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers weiterführt. Das Gleiche gilt für die Geschäftsordnungsautonomie des Gerichts. Um für den Fall einer Sperrminorität bei der Richterwahl gewappnet zu sein, soll ein Ersatzwahlmechanismus eingeführt werden. Falls keine Zweidrittelmehrheit zustande kommt, soll das Wahlrecht vom Bundestag auf den Bundesrat übergehen und umgekehrt.
In der Debatte vor der Abstimmung waren sich fast alle Redner einig. So erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die Verankerung zentraler Regelungen zu Struktur und Arbeitsweise des Gerichts im Grundgesetz seien wichtig, »damit die Erzfeinde der Demokratie keine Chance haben«.
Bemerkenswert waren die Einlassungen von Katja Keul (Grüne), Staatsministerin im Auswärtigen Amt. »Die Justiz steht im Feuer der Antidemokraten« und ohne ein »starkes« Verfassungsgericht drohe von »der Demokratie« nur eine »Diktatur der Mehrheit« übrigzubleiben, warnte Keul. Ansgar Heveling (CDU), Justiziar der Unionsfraktion, zufolge habe sich das Bundesverfassungsgericht bewährt: »Dann gehe ich bis nach Karlsruhe«, sei zu einem geflügelten Wort geworden. Konstantin von Notz (Grüne) nutzte die Debatte, um die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gleichermaßen zu attackieren. »Ihre Russland-Nähe ist unerträglich«, rief er in deren Richtung aus.
Die AfD-Fraktion polemisierte erwartungsgemäß gegen den Gesetzentwurf. Stephan Brandner sprach von einem »Altparteienkartell«, das die Grundgesetzänderung durchdrücken wolle. Sein Fraktionskollege Fabian Jacobi warf den beteiligten Parteien vor, sich als »die wackeren Verteidiger des Rechtsstaats gegen die böse AfD« darzustellen. Diese Realität existiere aber »wie im Märchen« nicht.
Der Bundesrat muss dem Gesetzesvorhaben noch zustimmen, die Reform steht bereits an diesem Freitag in dem Gremium auf der Tagesordnung. Das ist möglich, weil die Länder einer Fristverkürzung zugestimmt haben. Es wird auch im Bundesrat mit einer breiten Mehrheit gerechnet.
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