Die größte Katastrophe
Von Saskia JaschekÜber 20 Monate dauert der Krieg nun schon: Im April 2023 brach der Krieg zwischen dem sudanesischen Militär, den Sudan Armed Forces (SAF), und den paramilitärischen Schnellen Eingreiftruppen (Rapid Support Forces, RSF) in Khartum aus. Seither verschlechtert sich die Lage der Menschen vor Ort stetig. Die Bilanz Ende 2024: Mehr als zwölf Millionen Menschen auf der Flucht, acht Millionen von ihnen Binnenvertriebene. Dazu kommen knapp 26 Millionen Menschen, die von Hunger bedroht sind.
Mit diesen Zahlen schafft es Sudan in der von der Hilfsorganisation International Rescue Committee jährlich veröffentlichten Liste der größten globalen humanitären Krisen zum zweiten Mal in Folge an die Spitze – noch vor Gaza und der Ukraine. Über 80 Prozent der landesweiten Krankenhäuser sind außer Betrieb, weshalb zunehmend Menschen an den indirekten Folgen des Krieges sterben. Schwere Krankheiten wie Cholera breiteten sich dieses Jahr weiter aus. Dennoch bleiben die Todeszahlen in offiziellen Statistiken niedrig. Ein Bericht der London School of Hygiene and Tropical Medicine brachte hier kürzlich Licht ins Dunkel. Die Studie zu Todeszahlen in Khartum kam zu dem Schluss, dass etwa 90 Prozent der dortigen Sterbefälle undokumentiert geblieben sind. Insgesamt seien seit Kriegsbeginn allein in der Hauptstadt etwa 61.000 Menschen gestorben. Daraus schlossen die Forschenden, dass auch in anderen Landesteilen die Todeszahlen sehr viel höher seien als bisher angenommen.
Hunger und Kriegsverbrechen
Blickt man zurück auf die Kriegsentwicklungen des Jahres, scheinen diese Berechnungen plausibel. SAF und RSF kämpfen um Territorium, weshalb sich die Kampfhandlungen weiter ausdehnten. Die Region Darfur im Westsudan wird fast vollständig von den RSF kontrolliert, ebenso wie Teile im Zentrum und Süden Sudans. Die SAF hingegen kontrollieren vorwiegend den Norden und Osten des Landes. Im Hauptstadtbundesstaat Khartum treffen beide Kriegsgegner aufeinander.
Weiterhin am schlimmsten betroffen ist Darfur. Neben schweren Luftangriffen kommt es hier zur ethnisch motivierten Tötung von Zivilisten. Der internationale Ausschuss zur Überprüfung der Hungersnot erklärte im August offiziell eine Hungersnot im Geflüchtetenlager Zamzam in Norddarfur. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hatte schon zu Jahresanfang bekanntgegeben, dort sterbe alle zwei Stunden ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger. Mehr als 400.000 Menschen leben in dem UN-geführten Lager, das sich wiederholten Angriffen durch RSF und anderen Milizen ausgesetzt sieht. Auch in dem von den RSF belagerten Bundesstaat Al-Dschasira kommt es immer wieder zu Angriffen und Plünderungen. Zudem häuften sich Berichte über schwere sexuelle Gewalt in den von den RSF besetzten Gebieten. In sozialen Netzwerken berichten Sudanesen zunehmend über von Frauen begangene Suizide.
Doch nicht nur Milizen sind für das Leid der Bevölkerung verantwortlich. Auch die Armee intensivierte zuletzt ihre Angriffe auf Zivilisten. Indem sie im ländlichen Darfur Wohngebiete und Märkte bombardierte, tötete sie Anfang Dezember rund 200 Menschen innerhalb weniger Tage, gab die Monitoringstelle »Sudan War Monitor« bekannt. In einem Wohngebiet in Khartum-Nord bombardierten die SAF eine Moschee unmittelbar nach dem Freitagsgebet. Dabei starben sieben Menschen, es gab zahlreiche Verletzte. In der gleichen Woche bombardierten die RSF die Stadt Omdurman, zugehörig zum Bundesstaat Khartum, und töteten dabei laut Reuters 20 Menschen. Auch die Stadt El-Fascher und das Lager Zamzam in Darfur wurden von den RSF bombardiert. Dabei starben, wie sudanesische Medien berichteten, mindestens 50 Zivilisten. Die größte Gefahr für die sudanesische Bevölkerung stellt die sich verschärfende Hungersnot dar. 25,6 Millionen Menschen im Sudan leben in »akuter Ernährungsunsicherheit«. 800.000 sind aktuell vom Tod durch Hunger bedroht, so die jüngsten Zahlen des UN-Nothilfebüros OCHA. Wie schon im vergangenen Jahr betonen UN-Mitarbeiter zum Jahresende die Wichtigkeit internationaler Aufmerksamkeit für das Land und den Krieg.
Internationalisierter Konflikt
Außenministerin Annalena Baerbock hatte nach ihrer Ostafrikareise im Januar zwar einen Fünfpunkteplan als Wegweiser zur Beendigung des Krieges vorgestellt, doch Anhaltspunkte für eine Umsetzung fehlen weiter. Eine von Deutschland, Frankreich und der EU organisierte Geberkonferenz in Paris am 15. April, dem Jahrestag des Kriegsbeginns, sammelte insgesamt zwei Milliarden Euro für humanitäre Hilfe ein. Wie UNO und humanitäre Organisationen kurz darauf mitteilten, deckt das Geld jedoch nicht einmal die Hälfte der akuten Kosten.
Im Herbst verhängten Großbritannien und die USA Sanktionen gegen Unternehmen, die mit dem Militär und den Milizen in Verbindung stehen sollen. Im Dezember weitete auch die EU ihre Sanktionen auf einzelnen Personen des Staatsapparats sowie der RSF-Spitze aus. Eine von Großbritannien und Sierra Leone eingebrachte Resolution im UN-Sicherheitsrat mit einer Aufforderung an Militär und RSF, die Kämpfe sofort einzustellen, scheiterte im November am Veto Russlands. Begründung: Allein die sudanesische Regierung sei für die Sicherheit im Land verantwortlich und dürfe als einzige Instanz über eine Einladung ausländischer Truppen entscheiden. Moskau hatte im Frühjahr eine Kehrtwende in dem Konflikt vollzogen. Stand es zuerst auf der Seite der RSF und soll auch an der Ausbeutung der Goldressourcen beteiligt gewesen sein, unterstützt es nun die offizielle, SAF-gestützte Regierung.
Im Juni reiste eine russische Delegation nach Port Sudan, wohin sich die De-facto-Regierung weitgehend zurückgezogen hat, und bekräftigte Verträge zum Bau eines Marinehafens im Gegenzug für Waffenlieferungen. Auch die Türkei, Israel, Ägypten, die Ukraine und die USA sollen auf seiten von Militär oder Paramilitärs am Krieg beteiligt sein. Berichte der UNO und verschiedener Menschenrechtsorganisationen belegen zudem die Unterstützung der RSF durch die Vereinigten Arabischen Emirate in Form von Waffen, Munition und weiteren Kriegsgütern. Getarnt als humanitäre Lieferungen, werden diese oft über Drittstaaten wie Uganda, Libyen oder Südsudan eingeflogen.
Hoffnung durch Selbsthilfe
Aktivisten der sudanesischen Diaspora verwiesen wiederholt auf die äußere Einflussnahme in dem Konflikt. Sie betonten, dass ein Ende der Unterstützung für RSF und SAF durch Drittstaaten grundlegend sei für eine Beendigung des Krieges. Doch an ein nahes Kriegsende durch Einigung glaubt mittlerweile fast niemand mehr. Nach wiederholt gescheiterten Vermittlungsversuchen zwischen den Generälen Abdel Fattah Burhan von den SAF und Mohammed Hamdan Daglo von den RSF haben viele Menschen im Sudan die Hoffnung auf einen baldigen Waffenstillstand aufgeben. Was ihnen an diesem finsteren Jahresende bleibt, ist die Selbsthilfe.
Etliche zivile Organisationen vor Ort versuchen die Kriegsfolgen für die Zivilbevölkerung möglichst abzufedern. Trotz herber Rückschläge durch Luftangriffe und Überfälle der Kriegsführenden organisieren sie weiterhin die Versorgung der verbliebenen Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern wie Medizin und Nahrungsmitteln. Da die graszwurzelorganisierten Initiativen auf Grund bürokratischer Hürden nur wenig Geld von internationalen Organisationen erhalten, suchen sie Hilfe in sozialen Netzwerken und über Fundraisingplattformen. Die in Sudans Gesellschaft verbreitete Solidarität ist und bleibt ein Hoffnungsschimmer am düsteren Horizont eines scheinbar nicht enden wollenden Krieges.
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