»Das wird sich später rächen«
Interview: Carmela NegreteDer Berliner Senat hat seinen Kürzungshaushalt für 2025 durch das Abgeordnetenhaus gebracht. Auch an Ihrer Schule werden die Folgen zu spüren sein. So soll bei den Sozialarbeitern gekürzt werden. Wie haben Sie davon erfahren?
Über die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW. Daraufhin haben wir Kolleginnen uns vor allem über GEW und das »Unkürzbar«-Bündnis weiter informiert.
Konnten Sie in Erfahrung bringen, wie viele Stellen Ihnen fehlen werden?
Wir wissen, was alles bedroht ist. Aber es herrscht noch große Unklarheit darüber, wie es weitergeht und auch wie viele Stellen jetzt genau bei uns gestrichen werden.
Es heißt, auch das Familienzentrum, das erst kürzlich eröffnet wurde, steht damit vor dem Aus.
Genau. Unser Träger, mit dem wir zusammenarbeiten, ist das Pestalozzi-Fröbel-Haus. Und die finanzieren unsere Schulsozialarbeit. Die ist in Gefahr. Das Familienzentrum, das präventive und niedrigschwellige Angebote für Familien mit Grundschulkindern anbietet und seit einem Jahr offen ist, könnte ebenso wieder geschlossen werden. Dann haben wir einen großen Bereich an unserer Schule mit Werk- und Naturpädagogik, wo auch nicht klar ist, ob die weiterarbeiten können.
Was bedeutet das für den Arbeitsalltag an Ihrer Schule, falls das alles wegfällt?
Das heißt, dass die Familien und Kinder nicht mehr so unterstützt werden können, wie sie es gerade brauchen. Oder dass die Lehrkräfte das alles machen sollen, was aber gar nicht funktionieren würde. Wir haben viele Krisen- und Notfälle bei uns an der Schule, auf die schnell reagiert werden muss. Dafür brauchen wir die Unterstützung von Sozialarbeitern. Wenn die wegfallen, weiß ich nicht, wie wir dann hier weiterarbeiten können und was mit diesen Kindern passiert, die nicht mehr unterstützt werden. Oft ist die soziale Arbeit bei uns auch eine wichtige Schnittstelle, um in engem Kontakt mit den Familien zu sein.
Wie ist die Stimmung in Ihrem Kollegium zur Zeit?
Die ist sehr angespannt. Viel Angst, viel Wut, gemischt mit Trauer und mit einer gewissen Verzweiflung. Einige sagen: »Man kann jetzt eh nichts mehr machen.« Es fällt ja auch noch die sogenannte Brennpunktzulage weg, die geschaffen wurde, um Schulen zu unterstützen, die in einer besonders herausfordernden Lage sind. Das alles erzeugt ein Gefühl von fehlender Wertschätzung. Als wir damals diese Zulage und dazu eine neue Sozialarbeiterinnenstelle bekommen hatten, war ein Gefühl von »Endlich werden wir gesehen« aufgekommen. Jetzt wird uns das auf einmal alles wieder weggenommen. Das ist sehr irritierend.
Ist Ihre Schule auch von Personalmangel geplagt?
Den haben wir nicht, wir haben keine freien Stellen gerade bei den Lehrkräften. Aber es sind generell zu wenig Stunden. Es werden immer wieder Unterrichtsstunden gestrichen, zum Beispiel Sonderpädagogikstunden. Trotzdem sind wir gefühlt zu wenig Leute für unsere Aufgaben. Wir haben Klassen, da sind neun Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf drin. Das ist ja fast eine Förderschulklasse. Und da kann man im Grunde nicht alleine unterrichten, sondern braucht mindestens zwei Leute. Aber das ist nicht vorgesehen.
Ist im Kollegium erkannt worden, warum es diese Kürzungen gibt?
Ich kann nicht für alle sprechen. Mein Eindruck ist, dass es schwierig ist, uns im Alltag zu organisieren, weil alle am Limit sind. Ein paar überlegen, den Beruf zu wechseln. Und ich glaube, es wissen nicht alle Bescheid, was eigentlich passiert. Deswegen haben wir angefangen, Briefe zu schreiben, um darauf hinzuweisen, was momentan passiert, was kommen wird und was das für unsere Schule heißt.
Dem Militär hat die Bundesregierung ein Sondervermögen spendiert. Braucht es für die Schule auch so ein Sondervermögen?
Ja, natürlich. Gerade in der Grundschule muss die Bildung an erster Stelle stehen. Wenn wir an der Bildung sparen, wird sich das später rächen. Ich verstehe es nicht, warum da nicht gesagt wird: Das ist das, was wir als allererstes sicherstellen.
Anna Sommer (Name geändert) ist Lehrerin an der Otto-Wels-Grundschule in Berlin
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