»Ich bin nicht nur eins, ich bin vieles«
Von Hagen BonnSie haben meine Aufmerksamkeit erregt, als Sie sagten, die deutsche Sprache sei »witzig«. Vielen Dank, endlich hat das jemand bemerkt. Ich war 20 Jahre alt, als ich über bestimmte Wörter stolperte: Doppelhaushälfte und Holzeisenbahn. Aber auch Formulierungen wie »eingefleischter Vegetarier« finde ich klasse.
Donnerwetter! Es ist ein bisschen verrückt, dass Sie hier Oxymora wie »Doppelhaushälfte« benennen. Denn ausgerechnet die haben mir in den letzten Tagen schlaflose Nächte bereitet. Über diese Paradoxa und Wortspiele der deutschen Sprache schreibe ich gerade einen Songtext. Meine Songs »Ratzfatzlatzspatz«, »Ups-Salat« oder »Ruth Ding will Weile« sind durch meine Leidenschaft zur deutschen Sprache entstanden. Das Nachdenken und Grübeln über gewisse Wörter sind für mich wie ein Leiden, das letztendlich doch Freude schafft! So stieß ich gleich zu Beginn meines Masterstudiums in Dresden auf den Begriff »Wahlpflichtfach« und fragte mich, was jetzt? Habe ich nun die Wahl oder nicht?
Sie thematisieren oft die »politische Dimension des Schwarzseins in Deutschland«. In Ihrem Lied »Kein Mensch ist illegal« singen Sie: »Aus Senegal, Wuppertal oder Portugal / Scheißegal, kein Mensch ist illegal.« In Strophe zwei werden Sie dann deutlicher: »Über die Kriegsursachen sind wir gerne stumm / Aber wenn Menschen hierherkommen, meckern viele rum.« Das Thema Fluchtursachen wird oft vergessen, aber aktuell überschlagen sich die politischen Forderungen, Syrer nach Hause zu schicken. Wie ordnen Sie das ein?
Die massive Nutzung entmenschlichender Begriffe wie »illegale Einwanderer« oder »Asylbetrüger« ist in den letzten Jahren zur Normalität geworden. Das hat die Grausamkeit der Begriffe fast unsichtbar gemacht. Der deutsche Staat predigt Wasser und trinkt Wein: Migranten zu Sündenböcken zu machen und vor ihrem Leid und ihrem Recht auf Menschenwürde die Augen zu verschließen, ist heuchlerisch, ja rassistisch! Wie passt das zur Demokratie und vermeintlich europäischen Werten? Ich denke, dass sich aktuell manche Parteien von diesem Populismus erhoffen, rechte Wähler für sich zu gewinnen. Die Diskussion um Migration ist nichts weiter als ein Ablenkungsmanöver von den echten Problemen – von der Ausbeutung bis zu den globalen Ungerechtigkeiten, die Menschen zur Flucht treiben. Gleichzeitig wird die Spaltung im Land vorangetrieben: Kürzungen in der Jugendarbeit, Bildung und Kultur. Ich finde das ziemlich absurd.
Zu Ihrem Herkunftsland. Die Sicherheitslage in Burkina Faso war in den vergangenen Jahren recht fragil. Islamistische Gruppen sind im Norden aktiv, und das Militär hat erst kürzlich wieder die Regierung aufgelöst. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?
Klar, es schmerzt mich sehr, dass die allgemeine Lage im »Motherland« eine echte Herausforderung darstellt. Durch Gespräche mit Verwandten und Freunden ist meine Gesamteinschätzung so, dass die Menschen vor Ort mit den neuen Verantwortlichen eher Zuversicht und Hoffnung verbinden. Als jemand, der zwischen den Ländern, also als »inzwischen dazwischen« Lebender, lebt, ist es ein gutes Gefühl, vor Ort zu spüren, dass die Menschen optimistisch sind. Ich wünsche mir, dass eine Regierung frei von äußeren imperialistischen Einflüssen und unter Wahrung der Rechte und Interessen der Bevölkerung das Land entwickeln und stabilisieren kann.
Viele achten Sie wegen Ihrer musikalischen Vielfalt – westafrikanische Rhythmen, Rap und Afrobeats. Wie verträgt sich das kalte Berlin damit? Vermissen Sie bei Konzerten den Passatwind »Harmattan« und die hohen Temperaturen nicht?
Wenn Sie so fragen, muss ich darauf aufmerksam machen, dass sich die klimatischen Bedingungen der Region konstant zuspitzen, also verschlechtern. Von dieser Klimakrise vor Ort sind freilich alle Menschen und besonders die Kleinbauern betroffen. Dass der globale Süden mit Überhitzung und Naturkatastrophen zu kämpfen hat, ist Folge der kolonialen und imperialistischen Vorherrschaft des weißen Nordens. Und klar, dieser Klimarassismus ist eine Fluchtursache!
Zur Musik. Ich bin nicht nur eins, ich bin vieles: in Sprachen, Gedanken, Geschmäckern oder Musik. Ich möchte mich nicht in eine Kiste sperren lassen. Ich cancle mich nicht, wenn ich gewisse Klischees erfülle. In einem entstehenden Text heißt es: »Meine Zunge behalte ich nicht in meiner Tasche. Ich bin ein Mensch freier Gedanken und keine Maultasche.«
Ezé Wendtoin spielt live im Rahmen des Kulturprogramms auf der 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11. Januar in den Wilhelm-Studios Berlin, Kopenhagener Str. 60 -68 .
Infos & Tickets unter: www.jungewelt.de/rlk
Ezé Wendtoin, geboren 1991 in Ouagadougou (Burkina Faso), lebt als Musiker und Liedermacher in Potsdam, Berlin und Dresden, wo er an der TU einen Masterabschluss in Germanistik erworben hat. Viel Beachtung fand 2019 sein Video zum Konstantin-Wecker-Song »Sage nein«, in dem auch Prominente wie Kida Ramadan und Frederick Lau auftraten. Im Mai 2024 erschien bei Nikiema Roots Music sein drittes Album »Schwarz wurde Ich«. 2021 trat er bei der XXVI. Rosa-Luxemburg-Konferenz auf
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