Schmecken, riechen, fühlen
Von Sabine Lueken»Ich rede echt nicht gern über Kunst«, sagt Rirkrit Tiravanija, der in Buenos Aires als Sohn eines Diplomaten geborene thailändische Künstler. Das ideale Museum wäre für ihn eins, in dem man Feuer machen kann und Dinge verbrennen. Wo es regnet, wo das richtige Leben stattfindet und wo jeder freien Zutritt hat, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Mit anderen Worten: ein öffentlicher Raum für Begegnung, von denen es heute immer weniger gibt.
Insofern ist der Berliner Martin-Gropius-Bau, eines der größten Ausstellungshäuser für zeitgenössische Kunst in Deutschland, nicht unbedingt der ideale Ort. Oder doch? Jenny Schlenzka, die neue Leiterin, gibt mit dieser Ausstellung die Richtung an, in die sie das Haus entwickeln will: Zugang für ein breites Publikum, ein Programm, »das alle Sinne anspricht, nicht nur den Sehsinn. Schmecken, riechen, fühlen, Musik hören, tanzen.« Dazu gehört bereits Baubau, der seit September bestehende kostenlose Spielort für Kinder.
Interventionen und Kritik
Tiravanijas Ambitionen gehen über Schmecken, Riechen, Fühlen hinaus. Er will mit seiner Kunst kulturelle Differenzen wahrnehmbar machen. Wie schauen wir auf die Welt? Wie erleben wir sie? Insbesondere den westlichen Blick, die Art und Weise, Objekte zu sammeln, zu bewerten und zu kategorisieren, Fremdes den eigenen Wahrnehmungsmustern zu unterwerfen, hinterfragt er mit seinen Arbeiten, ebenso die Aneignung von Objekten durch westliche Institutionen. Auch im Vorläufer des Gropius-Baus waren solche Objekte ausgestellt, zum Beispiel im Schliemann-Saal in den 1920er und 30er Jahren der aus dem damaligen Osmanischen Reich geraubte »Schatz des Priamos«.
Die Ausstellung wirft Paradoxien auf. Man muss Eintritt bezahlen und betrachtet Arbeiten, die als Intervention und Kritik am Kunstbetrieb entstanden, aber hier in einer großen Retrospektive aus fast 40 Jahren als Kunst im »White Cube« gezeigt werden. Paradox auch, dass diese Arbeiten, die den Eindruck von Spontaneität erzeugen, überwiegend Reenactments alter Installationen sind. Auswahlkriterium war ihr Bezug zu Deutschland. Ist das Kunst, oder sind das nur die Überreste einer Kochaktion in asiatischem Streetfood-Stil? (»untitled 1993 [flädlesuppe]«) Paradox auch, dass Tiravanija den Geniekult früherer Kunstauffassungen ablehnt, sich als immer unterwegs seiender Kunstnomade inszeniert, diese Haltung aber in der Installation »untitled 2003 (in the future everything will be chrome)« mit verschmitztem Humor unterläuft.
Referenzen und Zitate
Der Kunstrichtung der »relationalen Ästhetik«, ein Begriff des Kunstkritikers Nicolas Bourriaud von 1998, von manchen auch abwertend »Mitmachkunst« genannt, fühlt sich Tiravanija nicht zugehörig. Sein Interesse wurde durch Kasimir Malewitschs »Weiß auf Weiß« (1918) und Marcel Duchamps »Fountain« (1917) geweckt. Als junger Kunststudent wunderte er sich über die Objekte in den Vitrinen des Chicagoer Ethnologiemuseums, die in seiner Heimat als Essgeschirr benutzt wurden. »Was liegt näher, als den Topf aus der Museumsvitrine zu holen und darin zu kochen?« fragte er sich. Die Verköstigung von Ausstellungsbesuchern bei seiner ersten Einzelausstellung in New York 1990 mit Pad Thai ist legendär.
In den Lichthof des Gropius-Baus ist der Zutritt kostenfrei. Hier findet man »untitled 2024 (tomorrow is the question)«, eine Installation aus Tischtennisplatten mit der Inschrift in vielen Sprachen. Besucherinnen können den ganzen Tag lang spielen. In der Mitte des Raumes gibt es einen Holzturm mit einer Bühne (»untitled 2024 [demo station no. 8]«), über eine Holztrasse barrierefrei zugänglich, auf der jeden Tag von 15 bis 17 Uhr Präsentationen, Performances, Workshops und Spiele durch Initiativen aus der Nachbarschaft angeboten werden. Vorbild war die »Raumbühne« (1924) Friedrich Kieslers, wie überhaupt Tiravanijas Arbeiten voller Verweise, Referenzen und Zitate sind. Der Titel der Ausstellung zum Beispiel stammt aus dem Fassbinder-Film »Angst essen Seele auf« (1974). In der Installation »untitled 1993 (café deutschland)« (benannt nach der gleichnamigen Bilderserie Jörg Immendorfs) kann man an einem Resopaltischchen sitzend türkischen Mokka mit Kardamom trinken und Tee in einem orangefarbenen, großen Zelt (»untitled 1992 [cure]«). Die Partizipation »viele(r) Menschen« und ihre Interaktion ist der wesentliche Teil von Tiravanijas Kunst. Diverse Sitzgelegenheiten und ein provisorisches Bett auf einer Bambusmatte stehen bereit, um sich auszuruhen oder zu schlafen.
Ein merkwürdiges Gefühl von Leere und Melancholie beschleicht einen, während man durch die Ausstellung schlendert. Für Tiravanija steht der Prozess im Fokus, der entsteht, wenn »viele Menschen« zusammenkommen, zusammen essen, trinken, spielen, ruhen, soziale und kulturelle Differenzen inklusive: »Kunst hat immer versucht, den Menschen die Möglichkeit zu geben, frei zu handeln, frei zu denken, frei zu sehen, frei zu hören«, sagt Tiravanija. Ist das möglich innerhalb der Institution? Und was ist los mit der Welt, in der das nur noch im Museum geht?
Rirkrit Tiravanija: »Das Glück ist nicht immer lustig«, Martin-Gropius-Bau, Berlin, bis 12. Januar 2025
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