Schicht im Schacht
Von Reinhard Lauterbach
Die Ukraine rechnet offenbar nicht mehr damit, dass sie den russischen Vormarsch im Donbass noch aufhalten kann. Das geht aus der Tatsache hervor, dass sie die zuletzt einzige noch von ihr kontrollierte Förderstätte für Anthrazitkohle südwestlich der Stadt Pokrowsk aus eigener Initiative hat sprengen lassen. Die Sprengung bestätigte am Wochenende die Betreibergesellschaft Metinwest, die dem Oligarchen Rinat Achmetow gehört. Ukrainische Onlinemedien meldeten zugleich, dass die Kämpfe inzwischen bis in die Ortschaften Kotline und Udatschne vorgedrungen seien. Dort befinden sich zwei Zugänge zu den in 600 Metern Tiefe liegenden Anthrazitvorkommen. Anthrazitkohle ist ein wesentlicher Rohstoff für die Stahlgewinnung, diese wiederum ist der zweitwichtigste Exportzweig der Ukraine, ohne sie liefe auch in der ukrainischen Rüstungsindustrie nichts.
Bei russischen Raketenangriffen auf Ziele in Kiew und Saporischschja kamen am Wochenende mindestens vier Menschen ums Leben, ein Dutzend wurde verletzt. Ziele des Angriffs waren nach russischen Angaben ein militärisches Konstruktionsbüro in Kiew und ein Rüstungsbetrieb in Saporischschja. Außerdem bezeichnete das russische Verteidigungsministerium die Raketenschläge als Vergeltung für mehrere ukrainische Drohnenangriffe auf Treibstofflager in den Gebieten Tula und Kaluga südlich und südwestlich von Moskau.
Abgesehen vom Vormarsch im Raum Pokrowsk, meldete Moskau auch Geländegewinne weiter südlich rund um die befestigte Ortschaft Welika Nowosilka. Sie ist inzwischen auf drei Seiten eingeschlossen, und die Versorgung der Garnison ist nur noch über Feldwege möglich.
Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann räumte gegenüber der Welt am Sonntag ein, dass die westlichen Sanktionen die russische Rüstung nicht wesentlich behindert hätten. Die Rheinmetall-Lobbyistin sagte, die russische Armee verfüge über eine »beeindruckende Truppenstärke und eine Vielzahl an verschiedenstem wirkungsstarkem Gerät«. Der Bundeswehr-Generalmajor Christian Freuding ergänzte, die russischen Streitkräfte produzierten mehr Waffen, als sie im Krieg verlören, und die Vorräte in den Depots stiegen an. Russland schaffe so »Voraussetzungen« für einen Angriff auch auf NATO-Territorium, der aber noch »keineswegs gesetzt« sei.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. Januar 2025 um 15:04 Uhr)Zitat: »Ukraine sprengt Kohlegrube, bevor diese Russland in die Hände fällt.« Das zeigt eindeutig, dass Kiew selbst nicht mehr damit rechnet, dieses Gebiet halten zu können! Die militärische Lage der Ukraine ist derzeit offenbar so aussichtslos, dass selbst im Westen kaum noch jemand daran Zweifel hegt. Der Kampf des US-geführten Westens gegen Russland »bis zum letzten Ukrainer« wird zunehmend bittere Realität. Anfangs hatte der Geschäftsmann Donald Trump wohl tatsächlich geglaubt, den Konflikt durch ein Einfrieren entlang der Kontaktlinie lösen und die Europäer mit der weiteren Unterstützung der Ukraine sowie der Entsendung von Friedenstruppen belasten zu können. Doch es war von Beginn an offensichtlich, dass Russland einem bloßen Einfrieren nicht zustimmen würde. Moskau strebt vielmehr eine endgültige Lösung an – inklusive der Aufhebung der Sanktionen sowie einer neuen Friedensordnung, die entweder europäisch oder eurasisch ausgerichtet ist. Trotzdem könnte sich für Trump eine Tür öffnen, um die Beziehungen zwischen den USA und Russland zu normalisieren und Moskau von China zu entfernen. Gleichzeitig könnte er sich ohne Gesichtsverlust aus dem desaströsen Ukraine-Abenteuer seines Vorgängers zurückziehen. Dafür hätte Trump durchaus schlagkräftige Argumente. Allerdings müsste auch Russland Kompromisse eingehen – sei es im Hinblick auf die Arktis oder strategische Fragen wie Grönland und den Panamakanal. Ob Moskau dazu bereit ist und welche Zugeständnisse Russland für eine Lösung in der Ukraine akzeptieren würde, bleibt abzuwarten.
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