Die stille Mitte. Kulturhauptstadtspektakel in Chemnitz eröffnet
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Westberlin, Weimar, Essen und nun Chemnitz: Zum vierten Mal stellt Deutschland eine europäische Kulturhauptstadt. Das frühere Karl-Marx-Stadt lädt unter dem Titel »C the Unseen« ein, bislang Ungesehenes zu entdecken. Zur Eröffnung am Sonnabend kamen laut Angaben der Stadt rund 80.000 Menschen. Rund zwei Millionen Besucherinnen und Besucher erwartet die Stadt im Laufe des Jahres, darunter viele Tagesgäste. Auf sie warten etwa eine große Ausstellung zum Maler Edvard Munch über das Thema »Angst« und der Kunstpfad »Purple Path«, der die Stadt mit dem Umland verbindet.
Die sächsische Stadt habe einen ganz anderen Ansatz als frühere Kulturhauptstädte, betonte Programmgeschäftsführer Stefan Schmidtke. »Das Programm kommt von den Menschen aus Chemnitz und der Kulturhauptstadtregion, ihren Initiativen und ihren Ideen.« Chemnitz wolle sich als lebendige und vielfältige Stadt mit Narben und Brüchen zeigen, erklärte Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD). »Sie werden hier keine Hochglanzbroschüre vorfinden.« Das Programmbuch ist allerdings gut 500 Seiten dick.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief beim Festakt dazu auf, die Stadt zu entdecken. »Dort, wo sich die große demokratische Mitte unseres Landes Räume schafft, dort ist für Verächter der Demokratie kein Platz.« Von Chemnitz könne das Signal eines neuen Miteinanders ausgehen, erklärte Steinmeier bei der Eröffnungsshow am Abend.
Eröffnet wurde die Gala unter freiem Himmel mit sphärischen Bläserklängen, die von Hochhausdächern ringsum erklangen. Zuvor hatten 120 Freiwillige eine historische Lokomotive gezogen – als Symbol des gemeinsamen Anpackens und Verweis auf die reiche Industriegeschichte der Stadt.
Die extreme Rechte demonstrierte am Eröffnungstag gegen Chemnitz als Kulturhauptstadt – nicht ohne Gegenprotest. An dem Aufzug der rechten Kleinstpartei Freie Sachsen nahmen laut Polizei rund 400 Menschen teil. Wegen »ausländerfeindlicher Gesänge und Rufe« werde wegen Volksverhetzung ermittelt, hieß es. An einer Gegendemonstration nahmen laut Polizei rund 1.000 Menschen teil. Sie traten für eine Stadt mit Weltoffenheit und Vielfalt ein.
Oberbürgermeister Schulze verteidigte die Entscheidung, den rechten Aufzug zuzulassen. Meinungs- und Demonstrationsfreiheit seien sehr hohe Güter. Dazu gehöre, dass auch Dinge zugelassen würden, deren Inhalte viele unerträglich fänden. »Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass wir heute zeigen können, wo die Mehrheit steht.«
Erklärtes Ziel der Kulturhauptstadt sei es, die »stille Mitte« der Gesellschaft zu aktivieren. Aber der Titel ist auch ein Stadtentwicklungsprojekt. Rund 100 Millionen Euro fließen den Angaben nach als Fördergelder, etwa 60 Millionen davon in sogenannte Interventionsflächen. (dpa/jW)
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