Turbulenter Start in Dublin
Von Dieter Reinisch
Nach einer chaotischen ersten Sitzung am Mittwoch hat das Parlament in Dublin Micheál Martin zum zweiten Mal zum Regierungschef gewählt. Der Parteichef der konservativen Fianna Fáil (FF) erhielt am Donnerstag 95 Stimmen bei 76 Gegenstimmen und ist damit neuer Taoiseach, wie der Premierminister in Irland genannt wird. Am Nachmittag sollte auch die Amtseinführung durch Präsident Michael Higgins stattfinden.
Die Opposition um die republikanische Sinn Féin (SF) und andere linke Abgeordnete hatte ihre Wut über Pläne zum Ausdruck gebracht, vier unabhängigen Abgeordneten, die die Regierung unterstützen, Sitze auf den Oppositionsbänken zu geben. Damit hätten diese auch Redezeiten bekommen, die eigentlich der Opposition zustanden. Als Parlamentspräsidentin Verona Murphy am Donnerstag verkündete, dass die vier Regierungsunterstützer ihre Plätze tauschen müssen, fand die Wahl ordnungsgemäß statt.
Das Land hat damit mit einem Tag Verspätung eine neue Regierung gewählt, die nach außen hin zwar sehr wie die bisherige Koalition aussieht, sich aber doch von ihr unterscheidet: Sie steht politisch weiter rechts – innen- wie außenpolitisch. Martin war bereits von Juni 2020 bis Dezember 2020 Regierungschef. Zusammen mit der Partei Fine Gael (FG) führt er eine rechtskonservative Koalition an. Vizepremierminister wird der bisherige Taoiseach, Simon Harris (FG), der auch das Amt des Außenministers übernimmt. Wie in der vergangenen Legislaturperiode wechselt der Posten des Regierungschefs nach der Hälfte der Amtszeit zwischen den beiden Parteien.
Obwohl SF bei den Wahlen verlor, haben die beiden ehemaligen konservativen Großparteien FF und FG gemeinsam keine Mehrheit im Parlament. In der vergangenen Legislaturperiode verhalfen ihnen die gemäßigten Grünen in einer Dreierkoalition zur notwendigen Majorität. Doch die Rolle als Steigbügelhalter für konservative Politik nahmen die Wähler der Partei übel: Die Grünen erlebten einen drastischen Einbruch der Stimmen und hielten nur knapp einen einzigen Parlamentssitz.
Gespräche zwischen FF, FG und den beiden sozialdemokratischen Parteien Labour und Social Democrats wurden rasch beendet. Statt dessen wurde ein Bündnis mit parteilosen Abgeordneten geschlossen. Diese sind größtenteils erzkonservative Politiker, die Schwangerschaftsabbrüche ablehnen, sich wieder eine stärkere Rolle der katholischen Kirche wünschen oder liberale Gesetzgebungen der vergangenen Jahre, wie die gleichgeschlechtliche Ehe, abschaffen wollen.
Die neue Regierung sei klar rechts, urteilte auch Paul Murphy, Abgeordneter der trotzkistischen Partei People Before Profit, im jW-Gespräch: »Nicht nur, weil sowohl Fianna Fáil als auch Fine Gael weiter nach rechts gerutscht sind, sondern auch, weil unter den Unabhängigen sehr viele ultrarechte Politiker sind.« Insgesamt 17 Unabhängige haben ein Abkommen mit FF und FG zur Unterstützung der neuen Regierung unterzeichnet – damit hat das Bündnis eine ausreichende Mehrheit im Parlament.
Der Rechtsschwenk wird besonders auch in der Außenpolitik deutlich, bei der eine weitere Aushöhlung der Neutralität, eine Lockerung der propalästinensischen Position Irlands und die Einführung einer neuen Antisemitismusdefinition, die Kritik am Staat Israel als antisemitisch ansieht, geplant sind. Auch soll es eine stärkere Orientierung in Richtung des neuen US-Präsidenten Donald Trump geben, um Irland als Sitz von US-Konzernen in Europa zu stärken, ist im Regierungsprogramm zu lesen.
Die Linke hingegen ist im neuen Parlament geschwächt: People Before Profit verlor ihren Fraktionsstatus, mehrere linke Unabhängige verloren ihre Sitze. Darunter der Vorsitzende der irisch-kubanischen Parlamentsgruppe, Thomas Pringle. Doch Murphy sieht darin auch eine Chance: »Nun ist die gesamte Opposition links. Dadurch können wir uns wieder profilieren. Wir haben uns zu lange auf unseren Sitzen ausgeruht.« Ähnlich sieht es Clare Daly, die nicht ins Parlament gewählt wurde: »Wenn wir wieder auf die Politik auf der Straße setzen, werden wir unsere Stärke von früher ausspielen können«, betonte sie gegenüber jW.
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