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Aus: Ausgabe vom 27.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Wenigstens keine Fahrräder in Venedig

Eine Neuedition von Karel Čapeks Reisebericht »Briefe aus Italien« von 1923
Von Angelo Algieri
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Sah Neapel lieber von ferne: Karel Čapek (1935)

Der tschechische Autor Karel Čapek (1890–1938) gilt als einer der wichtigsten europäischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Sein Meisterwerk ist die Satire »Der Krieg mit den Molchen«. Der Roman ist nicht nur eine sarkastische Kritik an Faschismus und Kolonialismus, sondern auch formal unkonventionell und vereint unterschiedliche Genres. Voriges Jahr sind seine ursprünglich 1923 veröffentlichten »Briefe aus Italien« im Basler Lenos-Verlag erneut auf deutsch erschienen.

In diesem Büchlein berichtet Čapek von einer Italien-Reise im Jahr 1923. Die kurzen Kapitel über die Stationen seiner Rundreise behandeln das Ungewöhnliche eines jeden Ortes. Beschreibungen der wichtigsten Bauwerke kann man schließlich im Baedeker nachlesen. Zum Running Gag wird, dass Čapek immer wieder zu Beginn eines Kapitels – es sind streng genommen keine Briefe, da es weder einen direkten Adressaten noch eine direkte Ansprache gibt – darüber informiert, was er nicht behandeln möchte: »Doch in Florenz werde ich nicht über Kunst sprechen. Es gibt hier fast zu viel davon, das macht einen ganz wirr im Kopf.«

Er bereist Italien von Österreich kommend: Sein Weg führt ihn von Venedig über Padua und Ferrara weiter nach Ravenna, Florenz, Rom und Neapel bis nach Sizilien und zurück über Rom, Genua, Mailand nach Verona und Bozen, das erst seit Oktober 1920 zu Italien gehört. Die Menge an Touristen in Italien (manches scheint sich bis heute nicht geändert zu haben) stört Čapek enorm. Schon in Venedig ächzt er darüber, Florenz schließlich sei gar von Fremden verseucht. Andererseits findet er die Lagunenstadt ganz entspannt, schließlich sind Fahrräder, die er nicht sonderlich mag, dort nicht zugelassen. In Neapel widmet er sich weniger den Touristen als der dortigen Bevölkerung. Er beschreibt, wie er ein ums andere Mal abgezockt wird. »Offenbar fühlt sich der Neapolitaner in seinem wahren Element, wenn er etwas verkauft.« Neapel sei zudem nicht gerade schön, außer man sehe es aus der Ferne.

Auf Sizilien wird Čapek doch noch schwärmerisch, zum Anblick der Chiesa di San Giovanni degli Eremiti in Palermo heißt es: »Mein Gott, diese Ecke ist vielleicht doch das Schönste von allem.« Hingerissen ist er in Palermo auch von den Karren, die mit eindrucksvollen Bildern verziert sind. Von Mailand ist er wieder wenig angetan: Die Stadt möchte ein kleines London sein – mit all seiner Hektik und Frenetik. Das gilt für die lombardische Metropole bis heute. Kurz bevor er Italien am Brenner verlässt, wartet Čapek mit einem Schwank über den norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen auf, der sich als alter Mann im Südtiroler Ort Gossensaß in eine junge Frau verliebt und ihr sieben Jahre lang den Hof macht.

Die Lektüre der launigen Berichte lohnt sich auch wegen der allgemeingültigen Reflexionen über das Reisen. Čapek rät, sich treiben zu lassen, lieber keine rigiden Pläne zu machen und sich von den Einheimischen leiten zu lassen. So lerne man nicht nur neue Monumente kennen, die im Baedeker nicht aufgelistet sind, man bekomme auch einen Eindruck vom Leben vor Ort. Bemerkenswert und bedauerlich, dass Čapek das Politische kaum erwähnt. Mussolini war damals gerade ein Jahr an der Macht. Da hätte man vom Antifaschisten Čapek mehr erwartet. Lediglich einmal wird das Thema berührt, wenn ihn die Schwarzhemden an Schornsteinfeger erinnern. Das mindert die Freude an der Lektüre jedoch nicht. Dem Lenos-Verlag ist es sehr zu danken, dass Čapeks »Briefe aus Italien« wieder auf deutsch verfügbar sind.

Karel Čapek: Briefe aus Italien. Aus dem Tschechischen von Erika Sangerberg. Bearbeitet von Christoph Blum. Lenos-Verlag, Basel 2024, 108 Seiten, 12 Euro

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