Geflucht wird viel
Von Maximilian SchäfferAuf keinen Fall sollen in »Kneecap« die üblichen Klischees über Belfast wiederaufgewärmt werden: Der Nordirlandkonflikt, die ständigen gegenseitigen Scharmützel, der Freiheitskampf der Iren, die mafiösen Strukturen der Klein- und Großkriminellen in der Hauptstadt von Ulster. Alles das verneint »Kneecap« gleich vorneweg, und selbstverständlich ist das aber auch nur ein bittersüßer Spaß mit Autobombe.
Natürlich geht es in einem Film über Belfast immer auch um all das Obengenannte, die traurigen bis absurden Realitäten halt. Man kann eben nicht wegsehen, die Murals sind überall auf die Hauswände gemalt. Flaggen wehen, Symbole prangen, alle Fahnen und Wörter haben Bedeutungen, und wer sich unvorsichtig in die falsche Straße begibt, bekommt unter Umständen eins auf die Fresse. Immer noch. Es hört nie auf. Die IRA, was von ihr übrigblieb, zersplittert und zerstritten oder staatstragend in Parteien organisiert, gibt es natürlich auch noch. Sie ist ebenso unvermeidlich: Als Symbol, als Wort, als Versprechen und als Fluch. Es kommt eben darauf an, auf welcher Seite der Mauer man säuft.
Nun, geflucht wird viel, in »Kneecap« – auf Gälisch wie auf Englisch. J.J. (JJ Ó Dochartaigh) ist Irischlehrer an einer Mittelschule im Gaeltachtviertel, nahe der berüchtigten Falls Road. Die Schüler sind wenig interessiert an ihrem kulturellen Erbe, das ihr Lehrer so leidenschaftlich vertritt und welches sie doch so aufdringlich begleitet wie andernorts kaum. Aber während sich sogar die Stadt mit der Haupttouristenattraktion namens Titanic-Werft und dem Flughafen namens George Best langsam von den Legenden der bäuerlichen Vergangenheit verabschiedet, erzählt das Irischlehrbuch immer noch vom Schafehüten und vom Torfstechen. In der Mittelschule ist Patriotismus nicht sonderlich angesagt, auf der Straße allerdings haben sich zwei befreiungsnationalistische Proleten gefunden. Liam (Liam Ó Hannaidh) und Naoise (Naoise Ó Cairealláin) sind zwei schmalspurkriminelle Kiffer mit Hang zur Polytoxikomanie. Beide wissen, so eine Untersuchungshaft ist kein Spaß, vor allem nicht begleitet von rassistischer Polizeigewalt. Und auch sonst haben die beiden Jogginanzugträger ihr Päckchen zu tragen. Naoise (sprich: Niescha) kämpft mit seinem familiären Erbe, sein Vater ist verschollener IRA-Held. Liam hingegen muss beim Abspritzen zwanghaft die Freiheit Irlands aus sich herausgrunzen.
So geht’s dahin in »Kneecap«, irgendwo angesiedelt zwischen »Trainspotting« (1996), »New Kids Turbo« (2010), »8 Mile« (2002) und »Hausmeister Krause« (1999–2010). Zweisprachig mundfäult es natürlich vor allem auf Irisch-Gälisch. »Fuck« hingegen ist ein vielseitiges Wort, kann und muss importiert werden. Der Lehrer und die beiden postadoleszenten »Assis« also gründen im Untergrund eine HipHop-Band, gleich dem Filmtitel benannt nach einer alten Kulturpraxis in ihren Breitengraden. Bei Verrat schießt dir die IRA die Kniescheibe in Trümmer, das ist die sogenannte »Kneecap«. Bei aller Jux und Dollerei, hier kommt der Kniff: Die Band gibt es wirklich, und die Protagonisten spielen sich selbst. Und das nicht einmal schlecht. Rich Peppiats Film und Drehbuch schmiegen sich intelligent an die Fähigkeiten der Laien an. Absurditäten und coole Sprüche können die drei gut. JJ Ó Dochartaigh gelingt sogar ein feines Beziehungsdrama mit seiner Frau, das man ihm, todesverkatert im Auto seine Liebe gestehend, sogar abkauft.
»Kneecap« ist zwar ein Pulverdrogenfilm, aber fürs Publikum doch eher ein Bierfilm, er macht wirklich feuchtfröhlich. Die Musik der 2017 gegründeten Kombo röhrt eingängig durch die Kinoanlage, tönt wie The Streets plus Sleaford Mods plus die antiimperialistische Version von Egotronic. Hier wird nach dem Rezept »Kultfilm« gekocht und fürs indigene Publikum ist tatsächlich so einiges auf dem Buffettisch serviert: Hits, Charakterköpfe, Lokalkolorit. Ob das kontinentale, gar internationale Publikum in den Reigen mit einstimmen wird, ist aufgrund folgender Schwierigkeiten nicht ganz so klar wie seinerzeit bei »Trainspotting«: Zuerst einmal ist der Film mit 105 Minuten für permanentes Vollgas einfach zu lang. Das hält keine Party aus. Und man kapiert die permanenten historischen und kulturellen Gags nur, wenn man zumindest einmal dort war. Nach Belfast fährt aber niemand. Und vor allem: Irisch versteht kein Schwein. Untertitel machen keinen Spaß zu Schnaps. Mit viel Selbstbewusstsein hat Irland »Kneecap« als offiziellen Beitrag der Nation bei den Oscars eingereicht. Die Chancen für ein einiges Irland standen nie besser.
»Kneecap«, Regie: Rich Peppiatt, Irland/UK 2024, 105 Min., bereits angelaufen
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