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Aus: Ausgabe vom 28.01.2025, Seite 4 / Inland
Migration und Wahlkampf

Anträge und Mehrheiten

Migrationspolitik: Merz hält an Plänen fest, SPD lanciert eigene »Sicherheitsgesetze«
Von Kristian Stemmler
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Wahlkampfschlager Grenzkontrolle: Beamte der Bundespolizei stoppen ein Fahrzeug an der deutsch-polnischen Grenze bei Forst (11.10.2023)

CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat am Montag bekräftigt, dass die Unionsfraktion am Mittwoch im Bundestag zwei Anträge einbringen wird, die eine erhebliche Verschärfung der Migrationspolitik vorsehen. Eine Zustimmung der AfD wird nicht offen angestrebt, aber in Kauf genommen: Man werde sich »weder von den Sozialdemokraten noch von den Grünen, ganz sicher auch nicht von der AfD sagen lassen«, welche Anträge die Union einbringen dürfe, sagte Merz nach Beratungen der Parteispitze am Montag. Was in der Sache richtig sei, werde »nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen«. Es liege an der SPD, den Grünen und der FDP, zu verhindern, »dass es Mehrheiten gibt, die keiner von uns will«.

Mit einem der Anträge soll der »Fünfpunkteplan« der Union umgesetzt werden, den Merz nach dem Messerangriff auf eine Kitagruppe im bayerischen Aschaffenburg am vergangenen Mittwoch verkündet hatte. Der Plan sieht unter anderem dauerhafte Kontrollen an allen Grenzen, Einreiseverbote für Geflüchtete ohne gültige Einreisepapiere, verstärkte Abschiebungen und Inhaftierung von ausreisepflichtigen Migranten vor.

Von SPD und Grünen kam am Montag weiter heftige Kritik an den Unionsplänen, die FDP signalisierte dagegen Zustimmung. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch erklärte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), indem Merz AfD-Stimmen in Kauf nehme, werfe er »nicht nur die bisherigen Grundsätze der Union über Bord, sondern spaltet die demokratische Mitte und sendet ein fatales Signal an unsere europäischen Partner«. SPD-Chefin Saskia Esken sagte der Funke-Mediengruppe, Merz versuche, »die demokratischen Parteien« zu erpressen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird zum Messerangriff in Aschaffenburg daraus am Mittwoch eine Regierungserklärung abgeben. Miersch sagte dem RND dazu, die SPD wolle »Sicherheitsgesetze« vorlegen, die bisher von der Union abgelehnt wurden, darunter erweiterte Befugnisse für die Bundespolizei und die Umsetzung der Novelle des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems.

Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck warnte vor einem »demokratischen Tabubruch«, sollten am Mittwoch die beiden Anträge der Union im Bundestag mit Hilfe der AfD-Fraktion beschlossen werden. In der ARD sagte Habeck am Sonntag, er halte die Anträge der Union für »in Teilen europarechtswidrig oder verfassungswidrig«. Man könne nicht »sehenden Auges das Recht brechen, um danach das Recht zu ändern«.

Die FDP-Spitze hat dagegen keine Bedenken gegen die Anträge des möglichen nächsten Koalitionspartners. Deren Geist entspreche dem, »was wir unter einer neuen Realpolitik in der Migration verstehen, nämlich mehr Kontrolle und Ordnung«, erklärte der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann am Montag nach einer Sitzung des Präsidiums der Partei. Dem Bundesvorstand und der Bundestagsfraktion werde empfohlen, dem Antrag der Union zuzustimmen. FDP-Chef Christian Lindner hatte zuvor im Deutschlandfunk erklärt, ihm sei es egal, ob die AfD zustimmt.

Der Geschäftsführer der Geflüchtetenorganisation Pro Asyl, Karl Kopp, sprach am Montag gegenüber junge Welt von einer »Zockermentalität des CDU/CSU-Kanzlerkandidaten«. Merz setze mit seinem »All in« alles auf die »Karte der schrecklichen Tat von Aschaffenburg«. Dies zerstöre »nicht nur die sogenannte Brandmauer zur AfD«. Der Inhalt sowie die Art und Weise, wie Merz und die Union ihren Kurs absteckten, »droht uns in eine andere Republik zu führen«, erklärte Kopp.

Das Kalkül der Union sei, geltendes Recht zu ignorieren, die Grenzen dichtzumachen und »die Schengen-Freizügigkeit zu zerlegen«. Dafür schiebe Merz Grundgesetz, Völker- und EU-Recht zur Seite. Mit diesem Ansatz erzeuge Berlin einen Dominoeffekt, wodurch alle anderen Mitgliedstaaten, die noch nicht auf diesen Kurs eingeschwenkt sind, ähnliche Maßnahmen ergreifen würden.

Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linke-Gruppe, sah im Plan der Union am Montag »Wahlkampfmanöver und Symbolpolitik«. In der Praxis sei er »nicht umsetzbar und gefährlich«. Es zeuge von »kognitiver Dissonanz, sich von der AfD zu distanzieren, während man exakt deren Forderungen übernimmt«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (28. Januar 2025 um 09:50 Uhr)
    Die Diskussion, die die CDU unter Friedrich Merz immer zugespitzter führt, hat leider schlimme historische Parallelen. Sie soll uns daran gewöhnen, in Flüchtlingen keine hilfsbedürftigen Menschen mehr zu erkennen, sondern sie in zweitklassige und bedrohliche Wesen zu verwandeln, von denen man sich abgrenzen und vor denen man sich schützen muss. Auch 1933 wurde erst ausgegrenzt, dann folgten die Lügen von der permanenten Bedrohung und danach folgte der Schutz der Volksgemeinschaft vor den sie bedrohenden volksfremden Elementen. Wohin das führte, daran erinnerte man sich gerade beschämt in Auschwitz. »Nie wieder!« hieß es dort. Und nur Tage später schämt sich keiner mehr, wieder auf den damals ausgetretenen Pfaden zu wandeln. Es geht ja heute »nur« um Flüchtlinge. Martin Niemöller beschrieb, was damals geschah, so: »Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.« Und Julius Fucik mahnte: »Seid wachsam!« Sind wir ausreichend wachsam, wenn das wieder aus dem Schoße der Vergangenheit kriecht – leise erst und fast noch verschämt und dennoch alle Grausamkeit schon in sich tragend?

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