Gegründet 1947 Dienstag, 4. März 2025, Nr. 53
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 31.01.2025, Seite 8 / Ansichten

Bürgerblock stimmt durch

Union findet neue Mehrheit im Bundestag
Von Sebastian Carlens
Bundestag_Merz_84861794.jpg
Die rechten Reihen geschlossen: Friedrich Merz läuft an der AfD-Fraktion im Bundestag vorbei (29.1.2025)

Wer der wahre Gewinner der ersten gemeinsamen Blockabstimmung aller rechten Oppositionsparteien vom Mittwoch sein wird, muss sich zeigen. Seit Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz in der vergangenen Woche angekündigt hatte, mit den Stimmen der AfD Anträge durch den Bundestag bringen zu wollen, hat sich der Ton des Wahlkampfes deutlich verändert.

Trotz aller Aufregung um Merzens Tabubruch: Grundsätzlich besteht allseitige Bereitschaft, das bestehende Asylrecht mehr oder weniger drastisch einzuschränken. Mit Ausnahme der Partei Die Linke machen alle parlamentarischen Kräfte Vorschläge, die Zuwanderung zu begrenzen oder komplett zu stoppen. Die CDU hat mit beiden nun abgestimmten Anträgen allerdings weitgehend AfD-Positionen übernommen, ja teils noch übertroffen – die AfD-Fraktion übte Kritik wegen Grundrechtseinschränkungen »für Deutsche«.

Auch wenn die Abstimmung keine administrativen Folgen haben wird: Der gesamte Vorgang steht für einen beispiellosen politischen Rechtsruck innerhalb kürzester Zeit. Die sich mit Beginn der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps ändernden geopolitischen Spielregeln zwingen das deutsche Kapital zur Neupositionierung. Entsprechend sinkt die Bereitschaft, an bisherigen parlamentarischen Gepflogenheiten festzuhalten. Die jeweiligen geopolitischen Konzepte, die die Union und die AfD vertreten, bleiben zunächst unvereinbar, eine unmittelbar bevorstehende schwarz-blaue Koalition ist vor allem deshalb unwahrscheinlich. Die Union setzt – auch gegenüber einem Präsidenten Trump – auf ein transatlantisches Bündnis, das sich militärisch gegen Russland und die VR China richtet. Innerhalb der AfD ringen verschiedene Strömungen miteinander, die teils eine Annäherung an Russland befürworten, teils mit regierungsnahen US-Milliardären paktieren. Eine Scharnierfunktion zwischen letzterer AfD-Fraktion und CDU/CSU nimmt der Springer-Konzern ein, der die Zuwanderungshysterie nicht nur publizistisch nutzt und befeuert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich hier neue Bündnisse ergeben. Allerdings sind die Grünen als erwiesen verlässliche Transatlantiker koalitionsbereit, auch wenn ihre innenpolitischen Vorstellungen mit jenen der Union aktuell wenig vereinbar wirken.

Zumindest – und dies ist die neue Qualität eines rechten Bürgerblocks, der die parlamentarische Mehrheit inne hat und nach der Wahl Ende Februar vermutlich noch ausbauen kann – steht nun die latente Drohung ins Haus, »notfalls« auch gegen die anderen Parteien alle innenpolitischen Vorhaben mit dieser Mehrheit durchzustimmen. Die Kampfansage richtet sich direkt gegen die bisherigen parlamentarischen Mehrheitsbeschaffer von Seiten der Sozialdemokratie – und der mit ihr assoziierten Gewerkschaftsbewegung. Die rechte Massenbasis ist vielfältig einsetzbar. Bei Asylrechtsverschärfungen wird es kaum bleiben.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (31. Januar 2025 um 07:50 Uhr)
    Es ist halt vorbei mit den völlig inhaltsleeren taktischen Spielchen, insbesondere von SPD und Grünen. Da ist nichts mehr im Instrumentenkasten. Alle Pfeile verschossen. Völlig versagt bei höchster selbstzugeschriebener Moralität selbstredend. Der politisch-mediale Komplex der »Linksliberalen« geht unter (selbstverschuldet und gerechtfertigt) – ein anderer übernimmt – siehe Döpfner und Co. Als Mensch, der in der DDR aufgewachsen ist, macht mir das multiple Versagen der Westdeutschen wirklich Angst. Wie kann man so besinnungslos dumm sein? So unfähig beim Selberdenken und Rezipieren der Wirklichkeit und der Tendenzen? Denen fehlt so einiges, um mit den Herausforderungen der nächsten Jahre auch nur ansatzweise klarzukommen. Sie werden nur Schaden anrichten, möglicherweise irreversibel.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (30. Januar 2025 um 23:47 Uhr)
    In der Tat: »Die rechte Massenbasis ist vielfältig einsetzbar.« Noch ist sie allerdings keine Massenbewegung, auch wenn sich die Schlägertrupps formieren. Warum heißt die in diesem Zusammenhang so oft zitierte Brandmauer Brandmauer? Weil sie fast schon abgebrannt ist. Branntwein heißt so, weil er gebrannt wurde. Gebranntes Kind scheut’s Feuer, hirnverbranntes auch? Beruhigt Euch, wir haben noch 89 Sekunden.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (30. Januar 2025 um 21:05 Uhr)
    Die historische Tendenz steigender organischer Zusammensetzung des Kapitals und seine fortschreitende Konzentration geht einher mit einer permanenten Krise, die den Überbau sowie die soziale Realität sukzessiv verändert und die Hörigkeit der Menschen gegenüber den von ihnen selbst hergestellten Produkten steigert; welche letztlich den Gesetzmäßigkeiten und Zwängen einer warenproduzierenden Gesellschaft – der zweiten Natur – so sicher folgen wie die Gezeiten dem Mond. Das gilt auch ausnahmslos für die Politik aller bürgerlichen Parteien. Ist es Zufall, dass BlackRock-Merz die AFD, nachdem Elon Musk ihr sein Gütesiegel erteilt hat, in die Bundespolitik einbindet? Angesichts einer für die USA beängstigenden Konkurrenz durch China dauert die schleichende, gar moderate, Enteignung der Proleten und Habenichtse durch z. B. Grün-Rot einfach zu lange. »Alles fürs Kapital« ist die alte und neue Devise. Darin sind sich diese Parteien seit je her einig. Hält jemand eine Koalition zwischen Weidel und Merz für ausgeschlossen? Für die Widersprüche zwischen CDU und AFD finden sich sicher auch Lösungen. Die CDU gibt unter dem Taurus-Experten Merz und Adjutant Kiesewetter die Außenpolitik vor. Derweil kann die AFD ihre sozialpolitischen Kompetenzen in der Innenpolitik ausleben. Der ökonomische Druck, der durch den Krieg gegen Russland und wegen der wirtschaftlichen Stärke Chinas auf der bürgerlichen Politik lastet, wird am Ende nicht mal mehr die Fassade der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehenlassen.

Ähnliche:

  • »Staatspolitisch« aus Sicht der Merkel-CDU ein Versager: Friedri...
    31.01.2025

    Merkel gegen Merz

    Frühere Bundeskanzlerin erklärt Strategiewechsel des CDU-Chefs für »falsch« und erhält Unterstützung aus der eigenen Partei
  • Mit eigenen Vorschlägen: Teilnehmer an den von Regierungsparteie...
    30.01.2025

    Wortgefechte um Unions-Anträge

    Debatte und Abstimmung im Bundestag über zwei Entschließungsanträge der Unionsfraktion zu restriktiverer Migrationspolitik
  • Suggestive Schnellschüsse und systematische Komplexitätsreduktio...
    08.04.2019

    Politik der Vereinfachung

    Die Rhetorik der noch amtierenden Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, im Faktencheck

Mehr aus: Ansichten