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Aus: Ausgabe vom 30.01.2025, Seite 4 / Inland
Wahlkampf mit Migration

Wortgefechte um Unions-Anträge

Debatte und Abstimmung im Bundestag über zwei Entschließungsanträge der Unionsfraktion zu restriktiverer Migrationspolitik
Von Kristian Stemmler
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Mit eigenen Vorschlägen: Teilnehmer an den von Regierungsparteien gestützten Protesten gegen die AfD (Berlin, 25.1.2025)

Auf die Gedenkminute für die Opfer der Amokfahrt von Magdeburg im Dezember und des Messerangriffs von Aschaffenburg folgte das ganz im Zeichen des Wahlkampfs stehende Wortgefecht im Bundestag über die jüngsten Vorstöße von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zur Verschärfung der Migrationspolitik. In einer Regierungserklärung zur Tat von Aschaffenburg, bei der ein zweijähriger Junge und ein Mann getötet worden waren, bezichtigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu Beginn der Plenarsitzung am Mittwoch Merz, die Verfassung zu beschädigen, die Stabilität der EU zu gefährden und die Tür für eine Koalition mit der AfD zu öffnen.

Einer der beiden Anträge der Union, über die am späten Nachmittag namentlich abgestimmt wurde, dreht sich um den von Merz nach der Tat von Aschaffenburg vorgelegten »Fünfpunkteplan«. Darin fordert die Union unter anderem dauerhafte Kontrollen an allen Grenzen sowie ein Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente. Die Anträge haben nur »appellativen Charakter«, anders als das »Zustrombegrenzungsgesetz«, über das der Bundestag am Freitag abstimmen soll. Für Kritik von vielen Seiten hatte gesorgt, dass Merz eine Zustimmung der AfD zu den Anträgen und dem Gesetz in Kauf nehmen will. Das Ergebnis lag bis jW-Redaktionsschluss am Mittwoch nicht vor.

Scholz begann seine Regierungserklärung mit einem Verweis auf die Gedenkstunde für die »Opfer des Nationalsozialismus«, die am Vormittag im Parlament stattgefunden hatte. Das Recht auf Asyl sei eine »unmittelbare Antwort auf das Grauen der NS-Herrschaft«. Daran dürfe nicht gerüttelt werden, was aber mit den Vorschlägen von Merz, etwa zur ausnahmslosen Zurückweisung von Flüchtenden an deutschen Grenzen, geschehe. Die Vorschläge seien »Scheinlösungen«.

Der Kanzler erklärte, wenn Merz seine fünf Punkte tatsächlich umsetzen würde, wäre das ein offener Bruch von EU-Recht, wie ihn bisher nur der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán vollzogen habe. Realistisch ist dies allerdings nicht angesichts bereits erfolgter Erklärungen verschiedener Landesregierungen, die im Bundesrat dem Merz-Gesetz demnach nicht zustimmen wollen. Scholz sprach von einem »Vollzugsdefizit« bei der Abschiebepolitik. Die Taten von Magdeburg und Aschaffenburg wären zu verhindern gewesen, behauptete der Kanzler, sofern die vorhandenen »und von uns verschärften« Gesetze angewandt worden wären.

Merz wies den Vorwurf, mit der AfD zusammenzuarbeiten und eine »schwarz-blaue« Mehrheit anzustreben, als »niederträchtig und infam« zurück. Aber: Der Unionsfraktionschef könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, wenn er nicht alles dafür tue, die »illegale Migration« zu begrenzen. Seine Vorschläge seien rechtskonform, sagte Merz. Er sehe auch eine nationale Notlage: Die »öffentliche Ordnung« sei durch kriminelle Asylbewerber gefährdet.

FDP-Chef Christian Lindner stellte sich an die Seite der Union und hielt der Bundesregierung von SPD und Grünen vor, frühere Ankündigungen zu Zurückweisungen an den deutschen Landesgrenzen nie umgesetzt zu haben. Er beschwor die Ängste von Bürgern, die sich angeblich nachts nicht mehr allein auf Bahnhöfe trauen würden oder von Kindern, die auf dem Schulweg bestohlen würden, und gab Geflüchteten die Schuld daran.

Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel trug ihre Rede in kalkulierter Monotonie vor. Die Union würde sich SPD und Grünen »anbiedern« und habe die Vorschläge zur Verschärfung der Asylpolitik von der AfD abgeschrieben. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht kündigte an, dass ihre Gruppe den beiden Anträgen der Unionsfraktion nicht zustimmen werde. Diese kritisierte die Ex-Linke als Symbolpolitik und nicht ausreichend. Dagegen werde das BSW dem Gesetzentwurf am Freitag zustimmen. Wagenknecht verwies zum tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg darauf, dass der Täter »wieder« ein Mann war, »der nach geltendem Recht gar nicht mehr hätte in Deutschland sein dürfen«.

Die Debatte um die Vorstöße von Merz nannte Wagenknecht unwürdig und prangerte das »jahrelange kollektive Versagen der alten Parteien in der Migrationspolitik« an. Die BSW-Vorsitzende erinnerte an die materielle Notlage zahlreicher Menschen in der BRD. Vor diesem Hintergrund verurteilte sie vor allem die Grünen dafür, immer mehr Schutzsuchende ins Land zu lassen.

Gegen eine restriktivere Migrationspolitik sprach sich die Linke-Gruppe aus. »Denken Sie wirklich, gegen die AfD hilft AfD-Politik?« fragte die Abgeordnete Heidi Reichinnek ins Plenum. In ihrer Rede stützte sie sich vor allem auf Fachleute, die für mehr Prävention und psychosoziale Betreuung sowie gegen mehr Abschiebung und schärfere Grenzkontrollen plädieren. Reichinnek prangerte vor allem die Union dafür an, die Toten von Aschaffenburg für Wahlkampfmanöver zu instrumentalisieren, und erinnerte die Anwesenden an den 2019 von Neonazis ermordeten CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Vor seinem Tod hatte er sich für die Unterbringung von Geflüchteten ausgesprochen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (30. Januar 2025 um 13:55 Uhr)
    Merz sagte im Bundestag unter Hinweis auf jüngste Terroranschläge: »Wie viele Menschen müssen noch ermordet werden? Wie viele Kinder müssen noch Opfer solcher Gewalttaten werden, bevor Sie auch der Meinung sind, dass es sich hier um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung handelt?« und »vor die Wahl gestellt, weiter ohnmächtig zuzusehen, wie Menschen in unserem Land bedroht, verletzt und ermordet werden, entscheide ich mich für das, was unabweisbar notwendig ist«. Das klingt fast so, als ob die Ausreisepflichtigen allesamt nichts besseres zu tun hätten als Deutsche umzubringen. Das ist hirnloser Blödsinn. Die Mordstatistik beweist, dass die Mehrheit der Mörder in Deutschland Deutsche sind. 90 Prozent sind Männer. Die auszuweisen (was natürlich nicht geht) würde weit mehr bringen als Merz’ seine Anträge. Sodann wegen der kriminellen Taten einiger weniger gleich alle Ausreisepflichtigen über ein und denselben Kamm zu scheren, hat mehr mit Rassismus als mit sachgerechter Politik zu tun. Mitunter sind die Ausreisepflichtigen durchaus aus gutem Grund geduldet. Diese zusammen mit den Kriminellen in Sippenhaft zu nehmen, das geht einfach nicht! Oder muss man erst die Nazikeule rausholen und auf Adolf Hitlers »Mein Kampf« verweisen, wo er (so etwa ab Seite 55) hier und da einen Juden ausgemacht hat, der ein vorgeblich falsches Verhalten an den Tag gelegt haben sollte – ein Vorwurf, der dann sachfremd auf alle Juden übertragen wurde? Mit bekanntem Ergebnis! Es sei daran erinnert, dass auch Hitler zunächst »nur« an Abschiebung der Juden nach Madagaskar gedacht hatte. Um es klarzustellen: Merz ist kein Hitler. Aber seine Anträge sind Blödsinn. Im 27-Punkte-Antrag heißt es etwa: »Russland hat die Kriege in Syrien und in der Ukraine nicht zuletzt auch wegen der daraus resultierenden Migrationsströme angefacht«. Das hat er sich genauso zusammenphantasiert, wie Weidel Hitler zum Kommunisten gemacht hat. Das ist schlimmer als eine Zustimmung der AfD für einen CDU-Antrag.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (30. Januar 2025 um 11:51 Uhr)
    Es ist paradox, dass offene Grenzen heute als linke Forderung gelten – einst waren sie ein Kernanliegen konservativer Parteien und wirtschaftsnaher Verbände. Helmut Kohl (CDU) trieb ab den 1980er Jahren den Schengen-Raum voran, da er Industrieinteressen diente: Grenzkontrollen erschweren den Warenverkehr, erhöhen Kosten und stören Just-in-time-Produktionen. Nun fordert ausgerechnet CDU-Chef Friedrich Merz die Rückkehr zu dauerhaften Grenzkontrollen, um Migration zu begrenzen – eine populistische Reaktion auf einen Doppelmord. Dies widerspricht Schengen und könnte eine Kettenreaktion in der EU auslösen. Ein Kanzlerkandidat eines exportabhängigen Industrielandes sollte bedenken, dass solche Maßnahmen wirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe verursachen.
  • Leserbrief von Conrad Fink aus Freiberg am Neckar (30. Januar 2025 um 10:51 Uhr)
    Ausgerechnet zum Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus, bei welchem Überlebende im Bundestag auftraten, kooperierte Merz und seine Union mit der rechtsradikalen AfD. Erstmalig erreicht die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag ein politisches Ziel mithilfe der AfD. Es ging um einen Antrag zu Verschärfungen in der Asyl- und Zuwanderungsfrage mit Gesetzesvorlage.
    Der ungeliebte Kanzlerkandidat geht weiterhin mit Ausländerfeindlichkeit auf Stimmenfang und macht das Thema damit zum Wahlkampfschlager. Merz agierte dabei wie andere Populisten – etwa Trump. Er hat mit seiner rechten Rattenfängerei die AfD schon bisher massiv gefördert und testet sie durch sein jetziges höchst verantwortungsloses Verhalten als mögliche Koalitionspartner.
    Mit dieser Tat hat der CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz sein Prinzip »Brandmauer« über Bord geworfen. Bei der AfD löste die Kursänderung von Merz Jubel aus. Ein Vorspiel auf »Österreichische Verhältnisse«. Obwohl Merz vielfach die fachliche Kompetenz für das Amt des Bundeskanzlers abgesprochen wird, zeigt er jetzt ganz deutlich seine moralische und sittliche Unreife, die ihn von einer derartigen Führungsposition ausschließt. Damit bricht er nicht nur Tabus und Zusagen, sondern geriert sich als Zündler, der willkürlich Brandbomben hochgehen lässt. Die Frage stellt sich: Ist Merz ein deutscher Trump? Oder anders gesagt: Hat Deutschland nichts Besseres zu bieten? M. E. ist das Motiv, das Merz antreibt, nichts anderes als Rachsucht. Er will sich an Merkel rächen, die ihn einst ins politische Abseits entsorgt hat. Sein Machtstreben und seine Egozentrik erinnern wirklich an den gelbhaarigen Weltverschlechterer über dem Großen Teich.
  • Leserbrief von Ronald Prang aus Berlin (29. Januar 2025 um 21:33 Uhr)
    »Fritz« von Papen ist zurück! Ich weiß natürlich nicht, was sich die CDU/CSU-Politiker heute nach der Abstimmung gedacht haben, gemeinsam mit der AfD und der FDP haben sie ihren rassistischen Antrag durchgebracht. Darf man sie jetzt »Grundgesetzfeinde« nennen? Der eingebrachte Antrag verstößt gegen das GG, gegen das europäische Recht, und nun? Wird jetzt Herr Merz und seine CDU/CSU »die AfD an die Wand drücken, bis sie quickt«? Ich glaube, das hat man schon einmal versucht in Deutschland, wir wissen alle, wie es ausging, die vorausgegangene Feierstunde erinnerte daran. Der eine hieß Franz, der andere heißt Merz, gemeinsam haben sie die Funktion als »Steigbügelhalter«. … und wie man in Zukunft wieder grüßt, hat uns Elon Musk schon mal gezeigt. Geschichte wiederholt sich nicht, so sagt man, aber dass sich der Kapitalismus nicht ändert, ist weltweit zu besichtigen.

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