Wortgefechte um Unions-Anträge
Von Kristian StemmlerAuf die Gedenkminute für die Opfer der Amokfahrt von Magdeburg im Dezember und des Messerangriffs von Aschaffenburg folgte das ganz im Zeichen des Wahlkampfs stehende Wortgefecht im Bundestag über die jüngsten Vorstöße von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zur Verschärfung der Migrationspolitik. In einer Regierungserklärung zur Tat von Aschaffenburg, bei der ein zweijähriger Junge und ein Mann getötet worden waren, bezichtigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu Beginn der Plenarsitzung am Mittwoch Merz, die Verfassung zu beschädigen, die Stabilität der EU zu gefährden und die Tür für eine Koalition mit der AfD zu öffnen.
Einer der beiden Anträge der Union, über die am späten Nachmittag namentlich abgestimmt wurde, dreht sich um den von Merz nach der Tat von Aschaffenburg vorgelegten »Fünfpunkteplan«. Darin fordert die Union unter anderem dauerhafte Kontrollen an allen Grenzen sowie ein Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente. Die Anträge haben nur »appellativen Charakter«, anders als das »Zustrombegrenzungsgesetz«, über das der Bundestag am Freitag abstimmen soll. Für Kritik von vielen Seiten hatte gesorgt, dass Merz eine Zustimmung der AfD zu den Anträgen und dem Gesetz in Kauf nehmen will. Das Ergebnis lag bis jW-Redaktionsschluss am Mittwoch nicht vor.
Scholz begann seine Regierungserklärung mit einem Verweis auf die Gedenkstunde für die »Opfer des Nationalsozialismus«, die am Vormittag im Parlament stattgefunden hatte. Das Recht auf Asyl sei eine »unmittelbare Antwort auf das Grauen der NS-Herrschaft«. Daran dürfe nicht gerüttelt werden, was aber mit den Vorschlägen von Merz, etwa zur ausnahmslosen Zurückweisung von Flüchtenden an deutschen Grenzen, geschehe. Die Vorschläge seien »Scheinlösungen«.
Der Kanzler erklärte, wenn Merz seine fünf Punkte tatsächlich umsetzen würde, wäre das ein offener Bruch von EU-Recht, wie ihn bisher nur der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán vollzogen habe. Realistisch ist dies allerdings nicht angesichts bereits erfolgter Erklärungen verschiedener Landesregierungen, die im Bundesrat dem Merz-Gesetz demnach nicht zustimmen wollen. Scholz sprach von einem »Vollzugsdefizit« bei der Abschiebepolitik. Die Taten von Magdeburg und Aschaffenburg wären zu verhindern gewesen, behauptete der Kanzler, sofern die vorhandenen »und von uns verschärften« Gesetze angewandt worden wären.
Merz wies den Vorwurf, mit der AfD zusammenzuarbeiten und eine »schwarz-blaue« Mehrheit anzustreben, als »niederträchtig und infam« zurück. Aber: Der Unionsfraktionschef könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, wenn er nicht alles dafür tue, die »illegale Migration« zu begrenzen. Seine Vorschläge seien rechtskonform, sagte Merz. Er sehe auch eine nationale Notlage: Die »öffentliche Ordnung« sei durch kriminelle Asylbewerber gefährdet.
FDP-Chef Christian Lindner stellte sich an die Seite der Union und hielt der Bundesregierung von SPD und Grünen vor, frühere Ankündigungen zu Zurückweisungen an den deutschen Landesgrenzen nie umgesetzt zu haben. Er beschwor die Ängste von Bürgern, die sich angeblich nachts nicht mehr allein auf Bahnhöfe trauen würden oder von Kindern, die auf dem Schulweg bestohlen würden, und gab Geflüchteten die Schuld daran.
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel trug ihre Rede in kalkulierter Monotonie vor. Die Union würde sich SPD und Grünen »anbiedern« und habe die Vorschläge zur Verschärfung der Asylpolitik von der AfD abgeschrieben. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht kündigte an, dass ihre Gruppe den beiden Anträgen der Unionsfraktion nicht zustimmen werde. Diese kritisierte die Ex-Linke als Symbolpolitik und nicht ausreichend. Dagegen werde das BSW dem Gesetzentwurf am Freitag zustimmen. Wagenknecht verwies zum tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg darauf, dass der Täter »wieder« ein Mann war, »der nach geltendem Recht gar nicht mehr hätte in Deutschland sein dürfen«.
Die Debatte um die Vorstöße von Merz nannte Wagenknecht unwürdig und prangerte das »jahrelange kollektive Versagen der alten Parteien in der Migrationspolitik« an. Die BSW-Vorsitzende erinnerte an die materielle Notlage zahlreicher Menschen in der BRD. Vor diesem Hintergrund verurteilte sie vor allem die Grünen dafür, immer mehr Schutzsuchende ins Land zu lassen.
Gegen eine restriktivere Migrationspolitik sprach sich die Linke-Gruppe aus. »Denken Sie wirklich, gegen die AfD hilft AfD-Politik?« fragte die Abgeordnete Heidi Reichinnek ins Plenum. In ihrer Rede stützte sie sich vor allem auf Fachleute, die für mehr Prävention und psychosoziale Betreuung sowie gegen mehr Abschiebung und schärfere Grenzkontrollen plädieren. Reichinnek prangerte vor allem die Union dafür an, die Toten von Aschaffenburg für Wahlkampfmanöver zu instrumentalisieren, und erinnerte die Anwesenden an den 2019 von Neonazis ermordeten CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Vor seinem Tod hatte er sich für die Unterbringung von Geflüchteten ausgesprochen.
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Mit dieser Tat hat der CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz sein Prinzip »Brandmauer« über Bord geworfen. Bei der AfD löste die Kursänderung von Merz Jubel aus. Ein Vorspiel auf »Österreichische Verhältnisse«. Obwohl Merz vielfach die fachliche Kompetenz für das Amt des Bundeskanzlers abgesprochen wird, zeigt er jetzt ganz deutlich seine moralische und sittliche Unreife, die ihn von einer derartigen Führungsposition ausschließt. Damit bricht er nicht nur Tabus und Zusagen, sondern geriert sich als Zündler, der willkürlich Brandbomben hochgehen lässt. Die Frage stellt sich: Ist Merz ein deutscher Trump? Oder anders gesagt: Hat Deutschland nichts Besseres zu bieten? M. E. ist das Motiv, das Merz antreibt, nichts anderes als Rachsucht. Er will sich an Merkel rächen, die ihn einst ins politische Abseits entsorgt hat. Sein Machtstreben und seine Egozentrik erinnern wirklich an den gelbhaarigen Weltverschlechterer über dem Großen Teich.